Luegnerin
auf die Farm.«
»Auf die Wolf-Farm?«
»Ja, die Wolf-Farm. Aber dafür musst du sauber sein. Wölfe sind saubere Tiere.«
»Okay«, sagt er und steht langsam auf. Mom und ich ziehen uns beide zur Wohnungstür zurück, um jede Berührung mit ihm zu vermeiden. Dabei versuchen wir, uns nicht in den Mänteln zu verfangen, die dort hängen.
»Hier entlang«, sagt Dad, als gäbe es noch eine andere Möglichkeit. Der Junge folgt ihm.
»Soll ich helfen?«, fragt Mom.
Dad schüttelt den Kopf, führt den Jungen ins Badezimmer und macht die Tür hinter sich zu. Dann folgen ein paar Sekunden Stille, dann fängt der Junge an zu schreien, aber er ist zu laut und zu wütend, als dass ich irgendwelche
Worte heraushören könnte. Es klingt, als ob das Wasser überall hinspritzt.
»Kommt Isaiah zurecht?«, fragt Mom. »Der tut ihm doch nichts, oder?«
Ich halte das Ohr gegen die Tür. Dad redete leise auf den Jungen ein, versucht ihn zu beruhigen, ihn zu locken. »Dad kommt klar.« Der Junge ist unglücklich, aber nicht gefährlich. »Das geht schon klar.«
»Und er hat deinen Zach umgebracht?«, fragt Mom. »Bist du sicher?«
Ich nicke.
»Ist er irgendwie zurückgeblieben? Aber er versteht uns, oder?«
»Er ist zurückgeblieben, aber er versteht alles. Er ist wie ich. Du solltest ihn mal laufen sehen. Überhaupt keinen Stil. Total spastisch, aber er rennt so schnell wie ich.«
»Oh«, sagt Mom.
»Genau. Da gibt es keinen Zweifel.« Ich gehe den ganzen Flur entlang und winde mich an meiner Mutter vorbei. Er ist nicht sehr lang. Ich gehe von der Wohnungstür an den Mänteln, der Küche, dem Badezimmer, dem Schlafzimmer meiner Eltern und meinem Zimmer vorbei. Fünfzehn nicht sehr große Schritte. Dann wieder zurück. Unter der Badezimmertür leckt Wasser hervor. Aber das Schreien hat aufgehört. Mom packt ein Geschirrhandtuch und stopft es unter die Tür.
»Wo hast du ihn gefunden?«
»Er hat mich gefunden. Ich wusste es nicht, Mom. Ich wusste nicht, dass er so ist. Ein Straßenkind! Er hatte keine Ahnung, was mit ihm passiert, wusste gar nicht, dass er ein Wolf ist.«
Mom macht ein sorgenvolles Gesicht. Sie legt mir die Hand auf die Schulter. Es ist das erste Mal seit gestern Abend, dass sie mich berührt hat. Ich bin so erleichtert, dass ich fast anfange zu weinen.
»Er hat keine Familie, die ihm sagt, was er ist, Mom. Er ist obdachlos. Ich glaube, er hat kaum Schulbildung abgekriegt und auch nicht viel zu essen. Hast du gesehen, wie dünn er ist?«
»Ja. Er ist ein armes Würmchen. Es wird gut für ihn sein, aufs Land rauszukommen«, sagt Mom. »Die Wilkins werden ihm helfen.« Sie geht in die Küche. Öffnet das Fenster. Dann holt sie den Wischer raus und putzt den Boden.
Ich tigere hin und her. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, ihr zu sagen, was die Oldies mit ihm vorhaben. Jedesmal, wenn ich an der Badezimmertür vorbeikomme, riecht es ein bisschen weniger schlimm. Dad wäscht vermutlich gerade Beweismaterial ab. Zachs Blut und DNA unter den Fingernägeln des Jungen. Aber das spielt sowieso keine Rolle, weil wir ihn ja nicht der Polizei übergeben werden. Aber trotzdem. Irgendwie stört es mich.
Ich stelle mir vor, wie Zachs Blut und DNA dort hingekommen sind. Eine Welle von Hass überflutet mich.
Ich kann es kaum noch erwarten, dass er auf die Farm kommt und die Oldies trifft. Ich kann es nicht erwarten, dass sie ihn Glied für Glied auseinanderreißen. Ich hoffe, sie lassen mich mitmachen. Werwölfe, die einen der ihren bestrafen. Ob es dafür wohl ein bestimmtes Ritual gibt? Ich bezweifle es. Schließlich haben die Oldies auch sonst
nicht gerade viele Rituale. Dinge geschehen einfach so, wie sie immer geschehen sind.
Ich will aber großes Aufheben darum machen. Ich will die Tötung des Jungen feiern. Ein Feuerwerk abfackeln. Obwohl auf der Farm ja kein Feuerwerk erlaubt ist. Das macht die Pferde nervös und erschreckt meine Artgenossen. Wir Wölfe haben es nicht so mit Feuer und Lärm. Zu oft bedeutet das Gewehrschüsse und eine Kugel in unserer Seite.
Aber er wusste , dass es Zach war. Dein Freund , hat er gesagt.
Dad macht die Tür auf und nickt mir ernst zu, dann schließt er sie hinter sich, bevor ich auch nur einen winzigen Blick erhaschen kann. »Er heißt Pete«, sagt Dad, bevor er ins Schlafzimmer verschwindet.
Pete? Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, nach dem Namen des Jungen zu fragen, ja, dass er überhaupt einen haben könnte. Dad kommt wieder heraus mit ein paar
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