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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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Kopf.
    »Sie hat gesagt, ich solle nicht so ein Theater deswegen machen. Sie meinte, ich solle mich meinem Alter entsprechend verhalten. Ich war zweiundzwanzig! Ich verhielt mich altersgemäß.«
    »Hat Großmutter dir gesagt, warum sie dich angelogen hat?«
    »Sie hat gesagt: ›Du hast dich doch gut amüsiert in Frankreich, oder, Isaiah? Hast dir eine nette Frau gesucht.‹ Sie wollte mir nicht sagen, wer mein Vater ist. Sie meinte, das bräuchte ich nicht zu wissen und es wäre besser, den Schleier der Vergangenheit liegen zu lassen. Das ist doch typisch für sie, oder? Ich glaube kaum, dass meine Vergangenheit noch verschleierter sein könnte. Ich habe ihr bis heute nicht mehr entlocken können. Sie tut jetzt wieder
so, als wäre mein Vater Franzose. Und deswegen mache ich dasselbe und schiebe die Wahrheit einfach beiseite. Und gebe weiter vor, dass die Lüge wahr ist. Aber erzähl’s nicht deiner Mutter. Sie weiß nichts davon.«
    Er grinste und schenkte mir ein breites Lächeln, bei dem sich seine Augen zusammenkniffen. Dads Zähne waren von einem blendenden Weiß. »Das ist einfach noch so ein Familiengeheimnis, das du zu den anderen legen kannst und das zwischen uns beiden bleibt. So wie Hilliard.«
    »Okay«, sagte ich. Dad klappte seinen Laptop auf. Ich holte mir mein Glas Orangensaft. Ende der Vater-Tochter-Session.
    Ist es da noch ein Wunder, dass ich so geworden bin, wie ich bin, bei all diesen Familienlügen?
    Ich bin mindestens schon eine Lügnerin der dritten Generation. Obwohl ich wette, dass die Linie noch weiter zurückreicht. Wenn ich Großmutter oder Großtante Dorothy dazu bringen könnte, darüber zu reden. Hilliard frage ich lieber gar nicht erst. Ich glaube kaum, dass ich von ihm jemals mehr als einen zusammenhängenden Satz gehört habe.
    Ich frage mich, ob es wohl so eine Art Lügen-Gen gibt. Falls ja, dann ist es in meiner Familie jedenfalls stark ausgeprägt. Und das wiederum lässt mich an Dads Geschichte zweifeln. Gab es diesen Brief wirklich? Ist irgendetwas von dem, was er gesagt hat, wahr? Die einzige Geschichte, die ich je von den Oldies gehört habe, ist die mit dem französischen Matrosen. Vielleicht hat Dad die Sache mit dem Brief nur erfunden? Vielleicht stimmt es auch gar nicht, dass er nach Frankreich gefahren ist?
    Nein, das muss stimmen, weil meine Mutter wirklich
Französin ist. Und in Marseille haben sie sich kennengelernt. Manchmal glaube ich, dass sie der einzige Teil der Geschichte ist, der wirklich stimmt. Ich bleibe bei der Version mit dem französischen Matrosen, weil ich die schon so oft gehört habe. Weil Dad mir das mit dem Brief nur ein einziges Mal erzählt hat. Ich habe keine Ahnung, welche Variante stimmt. Vielleicht keine.
    »Lass den Schleier der Vergangenheit liegen.« Ich glaube, so etwas würde meine Großmutter sagen. Das ist ein Leitspruch, an dem sich die ganze Familie orientiert hat. Auch Dad, ob er es zugibt oder nicht.
    Aber mir gibt das ein Gefühl der Haltlosigkeit.
    Dass ich euch jetzt die Wahrheit erzähle, ist mein Versuch, mir Halt zu geben, mich zu verankern. Das ist alles, was ich habe.

VORHER
    Das nächste Mal habe ich den weißen Jungen im Central Park gesehen.
    Zach und ich liefen zusammen. Im gleichen Rhythmus. Ohne zu reden. Nur unser Atem. Meine Gedanken waren einzig und allein in dem Gefühl meiner Füße, die den Boden berührten, den Ellbogen an meiner Seite, dem Ein- und Ausatmen. Zach neben mir, unsere Füße kamen im Einklang auf dem Boden auf. Ein- und Ausatmen zur gleichen Zeit.

    Der Junge kam aus der anderen Richtung. Er lief uns in Jeans und T-Shirt und einem abgewrackten Paar Stiefel entgegen. Also nicht in normalen Central-Park-Lauf-klamotten. Er war so dünn, dass die Kleidung nur so um ihm herumschlabberte, ihn fast erstickte, ihn verlangsamte, fast zu Fall brachte. Er war trotzdem noch ganz schön schnell. Selbst wenn er dabei mit den Ellbogen herumwedelte und mit den Fersen auf den Boden trampelte.
    Zach schubste mich an, aber ich hatte ihn schon gesehen. Schon erkannt. Auch der Junge schaute mich an. Ich hatte keine Worte für seinen Gesichtsausdruck. Intensiv. Fast, als würde er mich hassen.
    Dann war er an uns vorbei.
    »Ha«, sagt Zach. »Freak.«
    Ich sagte gar nichts. Ich musste die ganze Zeit daran denken, dass Zach das auch über mich sagte. Oder gesagt hatte. Ich stellte mir vor, wie er in der Schule wartete, bis ich an ihm vorbeigegangen war, um sich dann zu Tayshawn zu wenden und das Wort ›Freak‹

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