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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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wiedergesehen.

FAMILIENGESCHICHTE
    Als Mom und Dad mir erzählten, dass ich einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester bekommen würde,
regte mich das nicht besonders auf. Es machte mich auch nicht glücklich. Ich habe, ehrlich gesagt, nicht so wirklich darüber nachgedacht. Ich hatte ganz andere Probleme und war ganz mit Ärzten und mit der Schule beschäftigt.
    Ich war sieben Jahre alt und von Kopf bis Fuß behaart. Da waren jede Menge Ärzte. Ich wurde in verschiedenste Schulen gesteckt und wieder herausgenommen. Jede war schlimmer als die vorhergehende. Als die Medikamente nicht anschlugen, trug ich Hosen und langärmelige Shirts. (Erst später versuchten wir es dann mit Wachs, Elektrolyse, Laser. Die Haare kamen immer nach einem oder zwei Tagen wieder.) Machmal musste ich auch Schals und Handschuhe tragen. Auch wenn es draußen dreißig Grad hatte. Die anderen Kinder dachten, ich gehörte zu irgendeiner abgedrehten Religion oder wäre von Kopf bis Fuß von irgendeiner scheußlichen Hautkrankheit befallen. Und damit lagen sie ja gar nicht so falsch. Jedenfalls wollten sie nichts mit mir zu tun haben.
    Den wachsenden Klumpen im Bauch meiner Mutter hatte ich da kaum auf dem Schirm.
    Und so war es ein Schock für mich, als Jordan geboren wurde. Wie wir in die Klinik rasten und Dad den Taxifahrer anschrie. Dann stundenlanges Warten mit Moms Freundin Liz, die darauf bestand, meine Hand zu halten, bevor ich dann endlich hineingeführt wurde, wo ich meinen Dad sah, erschöpft und verschwitzt und strahlend, und Mom noch erschöpfter, die ein winziges blaues Bündel im Arm hielt.
    »Hallo, mein Schatz«, sagte Mom. »Sieh mal, das ist dein Bruder.«
    Ich schaute zu Liz empor, die mich anlächelte. Dad
nickte. »Sieh ihn dir genau an, Micah. Deinen Bruder, Jordan.«
    »Muss ich?«
    Mom lachte. Ein winziges Lachen. Sie sah aus, als könnte sie einen ganzen Monat durchschlafen.
    Liz gab mir einen kleinen Schubs und ich trat einen Schritt näher ans Bett.
    Ich tat noch einen Schritt und legte meine Hände auf die Bettkante und stellte mich auf die Zehenspitzen, um das Baby sehen zu können.
    Es war Hass auf den ersten Blick.
    Jordan war graublau und hässlicher als die Nacht. Seine Haare standen kreuz und quer vom Kopf ab, aber wenigstens waren sie nur auf seinem Kopf. Offenbar ein Wilkins-Sprössling ohne die Familienkrankheit. Seine Augen waren zugeschwollene kleine Schlitze. »Warum hat er so eine komische Farbe?«, fragte ich.
    Dad streckte die Arme aus und nahm Mom das Bündel ab. »Möchtest du ihn mal halten, Micah?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du lässt ihn sicher nicht fallen. Schau?«, sagte er und zeigte es mir. »Es ist ganz einfach. Du musst nur darauf achten, dass du eine Hand unter seinem Kopf und eine unter dem Körper hast. Ist er nicht winzig?« Dad legte mir das Bündel in die Arme. Sofort stieg mir etwas Falsches in die Nase, das mir eine Gänsehaut machte. Aber er hatte nicht die Hosen voll oder so. Etwas war falsch. Das blaue Baby roch falsch.
    Ich hielt ihn und passte auf, dass meine Hände genau dort waren, wo Dad gesagt hatte, obwohl ich heute wünschte, ich hätte ihn fallen gelassen. Er schlug die
kleinen Knopfaugen auf und blickte mich an. Ich mag dich nicht, konnte ich ihn beinahe denken hören. Ich mochte ihn auch nicht. Im selben Augenblick fing er an zu schreien.
    Und so ist es geblieben.

NACHHER
    Die Beerdigung dauert eine Ewigkeit. Ich fühle mich unwohl und nervös, und das nicht nur, weil es so heiß ist. Nichts von dem, was hier über Zach gesagt wird, erinnert besonders an den Zach, den ich kannte.
    Alle lügen.
    Alle wollen mit ihren Worten einen idealen Zach erschaffen.
    Einen Zach nach ihrem Bild.
    Es ist eine katholische Kirche. Ich war noch nie vorher in einer. Durch die bunten Glasfenster fällt Licht herein.
    Zuerst stehe ich ganz hinten, weil ich nicht weiß, wo ich mich hinsetzen soll. Ich schaue zu, wie die Leute nach und nach hereinkommen. Die meisten von ihnen habe ich noch nie zuvor gesehen. Wissen sie, wer Zach ist? War?
    Dann folgt Orgelmusik. Schwer und düster wie ein alter Horrorfilm. Es macht mir Kopfschmerzen. Und dann noch der Weihrauch, ebenso schwer und dicht wie die Musik. Das tut meinem Kopf auch nicht gerade gut.
    Seine Eltern gehen vorbei. Sie sind geschrumpft, in sich
zusammengefallen. Trauer verstärkt die Schwerkraft. Das Gesicht seines älteren Bruders ist ausdruckslos. Bei ihrem Anblick fangen meine Augen an zu brennen. Sie sitzen ganz vorne in

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