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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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der Nähe der Blumen und des Sarges. Ich habe versucht, ihn nicht anzusehen, aber da steht er, dunkles Holz mit goldenen Griffen. Form und Größe sind total falsch. Er kommt mir nicht lang genug vor. Zach war groß.
    Fast alle Schüler aus unserer Klassenstufe gehen vorbei, auch Lehrer. Die Jungs tragen Anzüge, die Mädchen schwarze Kleider. Sie sehen nicht aus wie sie selbst. Ich stecke auch in so einer schwarzen Kleid-Verkleidung. Diejenigen, die mich bemerken, schauen entsetzt zur Seite. Nur Yayeko und Sarah sagen Hallo. Ich verliere Yayeko aus den Augen. Sarah setzt sich vorne hin zu Zachs Familie.
    Detective Stein und Detective Rodriguez gehen an mir vorüber. Im ersten Augenblick fürchte ich, sie werden mich verhaften. Sie nicken nicht. Ich bin nicht sicher, ob sie mich gesehen haben.
    Die Kirche füllt sich mehr und mehr. Solange es noch Sitzplätze gibt, suche ich mir einen am Ende der vorletzten Bank. Ich kenne die Leute um mich herum nicht. Das ist gut. Keiner von ihnen wird tuscheln und auf mich zeigen. Das Kleid, das ich trage, juckt.
    Ich frage mich, warum ich überhaupt hier bin. Zach wusste, dass ich ihn mochte. Es spielt keine Rolle, was alle diese anderen Leute über mich oder über ihn und mich denken.
    Ich überlege, was Zach wohl denken würde.
    Aber Zach denkt nicht. Nicht mehr. Er kommt in die Erde. Oder in die Flammen. Ich weiß es nicht so genau.

    Ich versuche, mich an das letzte Mal zu erinnern, als wir uns gesehen haben. Wieder einmal gebe ich mir Mühe, mir jedes kleinste Detail ins Gedächtnis zurückzurufen. Wie er aussah. Was er anhatte. Ich kann mich nicht recht erinnern. Die Einzelheiten verschwimmen. Es ist noch gar nicht so lange her und doch vergesse ich schon Sachen.
    Der Priester dröhnt einen Willkommensgruß und fängt an, über Zach zu sprechen, als hätte er ihn gekannt. Aber aus dem, was er sagt, merke ich, dass er ihn nicht kannte. Es ist leicht, den Priester auszublenden. Ein paar Reihen vor mir steht ein älterer Mann auf und geht in den Altarraum hinauf.
    »Rutsch mal.«
    Ich blicke auf.
    Tayshawn. Im Anzug. Fast muss ich lachen, obwohl er gut aussieht. Ich habe Tayshawn vorher noch nicht mal in Jeans gesehen, geschweige denn mit Schlips und Kragen. Er trägt immer einen Trainingsanzug oder Shorts und ein Trikot, so dass er jederzeit bereit ist, sich in ein Ballspiel zu stürzen. Er ist nicht halb so gut wie Zach, aber er spielt noch viel lieber.
    Es gibt nicht viel Platz zum Rutschen. Ich drehe mich zu meiner Nachbarin, einer dicken, alten Dame in einem schwarzen Baumwollkleid. Woher sie Zach wohl kannte? Sie wirft mir einen bösen Blick zu, wendet sich dann aber zu ihrer Nachbarin und sie geben ein wenig mehr hölzerne Kirchenbank frei. Tayshawn quetscht sich auf die letzten paar Zentimeter und bemüht sich dabei, sich nicht gegen mich zu drücken, so wie ich versuche, meine Nachbarin nicht zu berühren.
    »Ich hasse Beerdigungen«, flüstert er mir zu.

    Ich nicke. Obwohl das hier meine erste ist. Sie können nicht alle so sein.
    »Ein paar Leute gehen hinterher noch weg. Was trinken und so. Bei Will zu Hause. Kommst du auch?«
    Ich trinke nicht – eines der vielen Verbote, die die Ärzte mir auferlegt haben –, aber das sage ich ihm nicht.
    »Weiß nicht«, flüstere ich zurück. Die Frau neben mir rutscht hin und her, so als wollte sie sagen: Ich finde es nicht gut, wenn auf einer Beerdigung geflüstert wird. Ich senke die Stimme. »Ich glaube nicht, dass ich willkommen bin.« Weder hier. Noch bei Will zu Hause.
    Tayshawn schaut mich an. Ich sehe, dass er überlegt, ob er schwindeln soll, aber dann entscheidet er sich dagegen. »Wahrscheinlich nicht«, sagt er. Er lächelt mich an. »Aber nur dass du’s weißt – ich glaube nichts von dem Scheiß über dich.«
    »Danke«, sage ich und meine es auch.
    »Pst«, zischt die Dame neben mir. »Ein Junge ist gestorben. «
    Fast sage ich ihr, dass er auch einen Namen hat und dass sie, hätte sie ihn wirklich gekannt, ihn nicht nur »ein Junge« nennen würde. Ich würde ihr gerne sagen, dass Zach mein – ja was? – war. Welches Substantiv kommt nach »mein«? Laufpartner? Freund? Bester Freund? Nein, das war er von Tayshawn. Und nur »Freund« steht Sarah zu.
    »Wollen wir gehen?«, fragt Tayshawn. »Ich hasse so Sachen echt.«
    Ich schaute ihn an und dann die schrullige Schachtel neben mir und den alten Typ, der sich da vorne über das Rednerpult beugt und über Zachs unausgeschöpftes Potential
spricht und sein

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