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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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GESCHICHTE
    Ich habe schon darüber nachgedacht, auch in der Stadt, die Pille nicht zu nehmen und nicht in den Käfig zu kriechen. Ich würde gerne mal sehen, was dann passiert. Wie würde sich ein Wolf in der Stadt verstecken? Wo würde er sich verstecken? Im Central Park? Zu klein. Zu voll. Inwood? Vielleicht. In mancher Hinsicht wäre es sicherer als draußen auf dem Land. In der Stadt gibt es nicht so viele Gewehre und Farmer, die Kojoten hassen.
    Wie gerne wüsste ich, ob es möglich ist. Ich würde es so gerne mal ausprobieren.
    Ich stelle mir vor, wie ich von den Enten und Kröten und Kaninchen im Central Park lebe.
    Und was wäre, wenn ich mich zurückverwandele? Wie würde ich – verdreckt, nackt und höchstwahrscheinlich mit getrocknetem Blut verschmiert – es ganz bis nach Hause schaffen? Selbst um vier Uhr morgens sind Leute auf der Straße. Würde man mich verhaften? Vermutlich nicht. Ich wäre verwirrt, und sie würden denken, ich wäre überfallen worden. Sie würden mich in ein Krankenhaus bringen. Würde man mir dort Blut abnehmen? Würde man alles herausfinden und mich einsperren? Und mich zur Schau stellen? Ich kann schon die Schlagzeilen vor mir sehen:
    ERSTMALIG WERWOLF ENTDECKT!
UNVORSTELLBAR: FRÄULEIN WOLF!
    Ich werde es nie tun können. Das Risiko ist zu groß.
    Aber ich würde gerne. Ich denke an die Herausforderung. Ich denke an den Spaß.

    Abgesehen davon bin ich so viel schneller als jeder Polizist.
    Wenn meine Eltern nicht wären, würde ich es auf der Stelle tun.

VORHER
    Hilliard war vor dem Wild, ich und Jessie zu beiden Seiten. Die Angst, die die Tiere ausstrahlten, war so durchdringend, dass es mich gewürgt hätte, wäre der Geruch nicht zugleich so köstlich gewesen, so als würde man in Schokolade schwimmen.
    Wir hatten so lange außer Sicht-, Hör- und Riechweite der Herde gewartet, dass ich schon vergessen hatte, wie es war, sich zu bewegen. Hilliard ist sehr streng, wenn es darum geht, auf den perfekten Moment zu warten, damit der Wind genau von der richtigen Seite kommt und wir uns in Bewegung setzen können, ohne das Wild aufzuschrecken, sodass wir ihnen den Fluchtweg abschneiden können. Gesunde Rehe können schneller laufen als wir. Und diese hier waren sehr gesunde Rehe: glänzendes Fell, klare Augen und ein einladender moschusartiger Geruch.
    Beim Warten lief mir das Wasser im Maul zusammen.
    Jagen besteht zu sechs Zehntel aus Warten. Das ist das Schlimmste. Dann sind da noch drei Zehntel Laufen und nur ein Zehntel das Reißen des Tieres. Das ist der beste Teil.

    Als die Herde auseinanderstob, hatten wir das langsamste Tier bereits umringt: eine ältere Ricke. Hilliard ging ihr an den Hals. Ich vergrub meine Zähne und Klauen in ihrem Bauch. Jessie verbiss sich in die Hinterläufe des Tieres. Das Reh stürzte.
    Ich riss den Bauch mit den Klauen auf, zerrte die Innereien heraus, die sich heiß und dampfend nach draußen ergossen und die Luft mit dem Geruch von Blut, Verdauungsgasen und Säure erfüllten.
    Wir machten uns darüber her und fraßen alles: Augäpfel, Eingeweide, Ohren. Als wir fertig waren, waren von dem Reh nur noch die Hufe, die Knochen, das Fell und ein paar Sehnenstränge übrig. Kein Aas blieb für die Vögel und kaum noch etwas zu knabbern für Ameisen und Fliegen.

MEINE GESCHICHTE
    Ich habe das Wolfsleben romantischer geschildert, als es ist.
    Wenn ich Wolf bin, habe ich Zecken. Parasiten saugen das Blut in meinem Bauch und in meinen Ohren nisten Milben. Bandwürmer kommen aus dem Wild, das ich fresse, und Saugwürmer vom Fisch.
    Es stimmt, dass ich jage und laufe und spiele. Alles drei höchst vergnüglich. Außer wenn es anders ist. Wenn die Beute entkommt, was meistens der Fall ist. Ein Teilzeit-Wolf ist weniger kompetent als ein Vollzeit-Wolf. Und ein
derartig teilzeitiger Wolf wie ich erst … drei oder vier Mal jeden Sommer. Ich bin der am wenigsten kompetente Wolf von allen.
    Meistens schlafe ich. Wenn ich wach bin, will ich nichts anderes als mich kratzen und fressen und spielen und wieder einschlafen.
    Wenn ich ein Wolf bin, dann juckt es mich, mir tut alles weh und ich bin ständig hungrig, und wenn ich zu weit von der Farm entfernt herumstreune, dann wird auf mich geschossen. Die Farm ist für mein Wolfs-Ich kleiner als unsere Wohnung für mein Menschen-Ich.
    Aber beide sind besser als Zeit, die du in einem Käfig verbringst.

TEIL 3
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

MEINE GESCHICHTE
    Es ist keine leichte Angelegenheit, eine

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