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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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Wolf würde durchdrehen.
    Ich schielte nicht nur zum Wald hinüber, wie das Sprichwort sagt. Ich sehnte mich danach mit jeder Faser meines Körpers.
    In der Stadt konnte ich als Wolf nicht sein. Aber als Mensch konnte ich nicht auf der Farm sein.

MEINE GESCHICHTE
    Das stimmt alles nicht ganz. (Ihr seid schockiert, das merke ich.)
    Ich verbringe die Sommermonate nicht nur deswegen auf dem Land, um meine Großmutter glücklich zu machen. Ich hasse es, auf der Farm zu sein, wenn ich Mensch bin, aber ich liebe es als Wolf.
    Dann gibt es nichts Besseres. Glück ist: Volles Rohr
Wolfsgeschwindigkeit zu laufen. Der Geschmack von rohem Wild, das ich selbst getötet habe. Ganz entspannt zu schlafen, aufzuwachen, zu sein. Mit Großonkel Hilliard herumzustreifen.
    Der erste Sommer, den ich dort verbrachte, war das erste Mal, dass ich ein Wolf war ohne Käfig. Mein zweites Mal als Wolf.
    Es war wunderbar.
    Nein, das Wort ist zu schwach. Es war unglaublich. Zum Niederknien.
    Nach meiner Verwandlung, nach dem Blut und nachdem sich Haare und Zähne verschoben hatten, nach dem Schmerz, erweiterte sich mein Universum.
    Mein Gehör wurde scharf. Mein Wolf-Ich kann alles hören: die kleinsten Bewegungen von Kaninchen, Füchsen, Rehen, selbst von Sonnenstrahlen, die auf den Boden treffen. Gute Geräusche. Weil es auf der Farm keinen Strom gibt, gibt es auch kein Summen und Klicken, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellen.
    Ich lief.
    Wenn ich als Mensch laufe, bin ich schnell, aber das ist nur ein schwacher Abklatsch davon, wie es ist, wenn ich Wolf bin.
    Hilliard schmiss mich um. Schnappte nach mir. Stieß mich mit dem Kopf an. Zeigte mir, wie ein Wolf rennt. Zeigte mir, wie er jagt.
    Das Leben als Wolf ist sauberer, sicherer, glücklicher.
    Wenn ich spielen will, spiele ich. Wenn ich schlafen will, schlafe ich.
    Da gibt es weder Ängste noch Zögern oder Zweifel oder Sorgen oder Wahnsinn.

    Mit der Verwandlung zum Menschen zieht sich die Welt wieder zusammen. Meine Sinne werden stumpf. Für einen Menschen habe ich eine scharfe Wahrnehmung, aber ich rieche oder höre nicht annähernd so gut wie in meiner Wolfsgestalt. Wenn ich Mensch bin, ist mein Kopf voll gestopft mit dunklen Gedanken und Gefühlen und Verwirrung.
    Wenn ich Wolfsgestalt habe, dann erinnere ich mich kaum an Menschliches, aber als Mensch ist manchmal der Wolf meine einzige Erinnerung.
    Dann will ich es.
    Dann will ich die Pillen in den Müll schmeißen, sie im Klo runterspülen. Und nie mehr auch nur eine einzige dieser kleinen Dinger nehmen.
    Ich will frei herumlaufen. Ich will Falken über mir, Fels, Erde, Pflanzen und Laub unter meinen Pfoten. Bäume um mich her. Aus einem Fluss trinken, fressen, was ich getötet habe.
    Als Wolf hat mein Rudel für mich einen Sinn. Als Mensch? Nicht so sehr.

FAMILIENGESCHICHTE
    Es gibt noch eine andere Sache, die (allerdings selten) die Verwandlung auslösen kann, und zwar die Brunft oder Läufigkeit.
    Deswegen darf ich keinen Freund haben. Deswegen
haben mir meine Eltern Hausarrest verpasst, als sie das mit Zach herausgefunden haben.
    Sie wollen auf keinen Fall, dass ich Gefahr laufe, mich hier in der Stadt zu verwandeln. Selbst das unwahrscheinlichste Risiko muss vermieden werden, auch wenn die Vorgeschichte selten und umstritten ist.
    Großtante Dorothy kann sich erinnern, wie es passiert ist; Großmutter meint, das sei großer Mist.
    Großtante Dorothy behauptet außerdem, dass derselbe Werwolf, der sich verwandelt hat, als er brünstig wurde, sich auch beim Geruch von Blut – nicht nur bei Menstruationsblut, sondern bei jedem Blut – und auch bei dem von Beute verwandelte. Ja schon allein der Geruch von Angst – oder Ängstlichkeit – löste es bei ihm aus, ob der nun von einem Beutetier ausging oder nicht. Bei ihm lösten derartig viele Faktoren den Wandel aus, dass er im Alter von 25 Jahren dauerhaft ein Wolf geworden war.
    So bin ich überhaupt nicht.
    Mein Dad hat sich all ihre Geschichten angehört, aber das Einzige, was er davon mitgenommen hat, ist, dass ich niemals Sex haben darf.
    Meine Eltern haben nicht bemerkt, dass Blut bei mir nichts auslöst, ebenso wenig Beutetiere oder auch Angst oder Ängstlichkeit. Die Klassenzimmer und die Flure meiner Schule strömen das geradezu aus, genau wie jede Straße in dieser Stadt.
    Ich bin nicht so wie dieser überempfindliche Wolf von anno dazumal.
    Aber meine Eltern hören einfach nicht zu. Als sie mich mit Zach entdeckt haben, sind sie voll ausgetickt.

MEINE

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