Luegnerin
erhoben. Ich lächelte zurück.
»Spar dir das Lächeln!«, brüllte mein Vater.
Ich versuchte, nicht zu lachen. Er hatte noch nie solche Sachen gesagt: »Junger Mann«, »Spar dir das Lächeln«. Es war, als würde er aus einem altertümlichen Handbuch für wütende Eltern zitieren.
»Bist du verrückt geworden?«, fragte Dad mich nun in gedämpfterem Tonfall, nachdem er bemerkt hatte, dass uns ein paar der Hippies und Obdachlosen leicht amüsiert zuschauten. »Warum gehst du so ein irres Risiko ein?«
Er packte mich am Arm. Ich schüttelte ihn nicht ab, obwohl ich es wirklich gerne getan hätte. Mom bedachte mich mit ihrem nachdrücklichsten Ich-bin-enttäuschtvon-dir-und-schäme-mich-für-dich-Blick.
»Wir gehen jetzt nach Hause. Da reden wir dann weiter über das hier.« Dad machte auf dem Absatz kehrt und zog mich hinter sich her. Ich hielt den Blick gesenkt und ließ mich den ganzen Weg die 7th Street hinter ihm her schleifen.
Zu Hause ging’s dann richtig zur Sache. Worte über Worte immer und immer wieder wiederholt: Vertrauen, gefährlich, vernünftig, enttäuscht. Sie schrien; ich hörte zu.
Außer als sie wissen wollten, ob wir Sex gehabt hätten, und ich beteuerte, das hätten wir nicht.
Und das war’s dann. Ich hatte Hausarrest.
Zach starb am Wochenende darauf.
LÜGE NUMMER 7
Zach und ich haben zusammen geschlafen, haben uns geliebt, haben Sex gehabt, gevögelt, jeden Zentimeter unserer Körper erkundet.
Nicht nur einmal, sondern viele Male, jedes Mal.
Ich fand es schön. Er fand es schön.
Abgesehen vom Laufen war es vor allem das, was wir taten.
Wir konnten die Finger nicht voneinander lassen. Es
war wie eine magnetische Anziehungskraft, Magnete, die Funken sprühten, wenn der Kontakt zustande kam. Nein, sie sprühten nicht Funken, sie explodierten.
Am schlimmsten war es in der Schule. Wir mussten uns aus dem Weg gehen. Beim Mittagessen nicht in der Nähe voneinander sitzen. Auf entgegengesetzten Seiten im Klassenzimmer. Ich schaffte es nur, ihn nicht anzusehen, wenn ich meinen Blick gesenkt hielt. Sonst war es unmöglich.
Ich brannte. Er brannte.
Manchmal war im Unterricht – sogar in Bio – meine Konzentration dahin. Selbst wenn ich ihn nicht sehen konnte, so konnte ich ihn riechen, was noch schlimmer war.
Es gab Tage, an denen ich dachte, ich würde es nicht durchhalten. Dann schloss ich die Augen und stellte mir vor, wie ich ihn in eine Abstellkammer zerrte. Oder schlimmer noch, wie ich ihn über Tische und Bänke hinweg ansprang und wir an Ort und Stelle eine Demovorstellung über Fortpflanzung gaben vor Yayeko und der ganzen Klasse.
Manchmal fing ich dabei an zu schwitzen oder wurde feucht zwischen den Beinen. Dann musste ich auf die Toilette rennen und meinen Kopf unter den kalten Wasserhahn halten. Es mir ins Gesicht spritzen. Irgendetwas tun, nur nicht an Zach denken. Mir die Nase mit Wattebäuschen verstopfen, damit ich ihn nicht riechen konnte.
Jeder Schultag, an dem es mir gelang, ihn nicht zu berühren und nicht in seine Richtung zu schauen, war ein Triumph. Und er war zugleich eine Lüge. Abgesehen
davon, dass ich mein wölfisches Wesen verbarg, war das meine größte Lüge.
Ich verstehe nicht, wie wir so lange damit durchgekommen sind. Wie kam es, dass keiner etwas bemerkt hat? Außer Brandon, und das lag nur daran, dass er uns gesehen hat.
Die Leute sind blind.
Genau wir ihr, wenn ihr wirklich geglaubt habt, was ich zuerst gesagt habe, dass wir nie übers Küssen hinausgekommen sind. Wie dumm kann man eigentlich sein?
Ungefähr so dumm wie alle in der Schule. Als sie es herausgefunden haben, wollten sie es nicht glauben.
Es war eine Erleichterung, entdeckt zu werden. Aber Zach war tot und so gab es ohnehin nichts mehr zu verbergen.
Jetzt lüge ich nicht mehr. Ich habe meine Eltern angelogen, aber nicht euch.
Sie dürfen es nicht erfahren, weil ich ihnen geschworen habe, dass ich es nicht getan habe und nie tun würde. Sie waren so außer sich, als sie mich und Zach beim Küssen erwischt haben, und hatten solche Angst, dass ich Dummheiten mache. Angst, dass es den Wolf in mir freisetzen würde und dass ich schwanger werden und noch mehr Monster hervorbringen könnte. Angst vor mir.
Also habe ich gelogen. Als sie uns erwischt haben, hab ich ihnen gesagt, Küssen wäre das Einzige gewesen, was wir zusammen gemacht haben, sonst nichts. Und dass es das einzige Mal war. Ich hab ihnen erzählt, ich wäre einfach neugierig gewesen. Und ich würde es nie wieder
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