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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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eigentlich?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass ich es lieber nicht tun sollte.
    »Nicht so besonders reich«, sagt sie und zuckt die Schultern. »Also irgendwie schon über dem Durchschnitt.«
    Weder ich noch Tayshawn sagen etwas.
    »Okay, ein ganzes Stück über dem Durchschnitt, aber ich würde nicht sagen reich, ja?«
    »Verdammt«, sage ich. »Was hast du gedacht, als du gesehen hast, wo ich wohne?«
    Die Wände in unserer Wohnung sind seit vor meiner Geburt nicht mehr gestrichen worden, überall blättert und platzt die Farbe ab. Wir haben weder ein Wohn- noch ein Esszimmer, die Heizungsrohre knacken so laut, dass man im Winter manchmal kaum schlafen kann, das warme Wasser ist immer wieder plötzlich abgestellt und aus dem Badezimmer der Wohnung über uns tropft das Wasser
durch die Decke, auch wenn der Hausmeister das schon hundert Mal repariert hat.
    Sarah errötet. »Ich hab eigentlich gar nichts gedacht. Ich meine, ich hab nicht direkt nichts gedacht. Ich … eure Wohnung ist hübsch. Sie ist …«
    »Beschissen«, beende ich den Satz für sie. »Um das zu merken, musst du sie nicht mal mit dieser Wohnung hier vergleichen.«
    »Ich kann ja nichts dafür, dass wir reich sind«, sagt Sarah.
    »Und wir können nichts dafür, dass wir es nicht sind«, erwidert Tayshawn und macht sich über uns beide lustig. Aber am meisten über Sarah, glaube ich.
    »Tut mir leid«, sage ich, obwohl mir gar nichts leidtut. »War mir einfach nicht klar.«
    »Ich bin immer noch ich«, sagt Sarah. »Mit oder ohne Geld.«
    Das bezweifle ich, aber ich spreche es nicht aus. Dass sie reich ist, macht es leichter, sie zu verstehen. Wie sie sich verhält, wie sie redet, dass sie immer richtig angezogen ist – das Kleid, das sie bei der Beerdigung anhatte, war ganz sicher nicht von ihrer Mutter geborgt. Auch wenn sie vor manchen Sachen Angst hat und ein bisschen girly-mäßig drauf ist, so strahlt sie doch eine gewisse Sicherheit aus. Sie weiß genau, dass sie aufs College gehen wird. Sie braucht dazu kein Stipendium und keinen Studienkredit. Um all das braucht sie sich keine Sorgen zu machen.
    Und sie ist auch kein Wolf. Sie wird nicht den Rest ihres Lebens auf einer abgewrackten Farm ohne Strom und ohne Hoffnung verbringen müssen. Plötzlich verspüre ich das Bedürfnis, ihr wehzutun.
    »Kann ich mal aufs Klo?«, frage ich.

    Sie zeigt auf eine Tür, die mir bislang noch nicht aufgefallen war. Ich schließe sie hinter mir.
    Ihr Bad ist vier Mal so groß wie mein Zimmer.

MEINE GESCHICHTE
    Ihr fragt euch, warum ich lüge, oder?
    All die Psycho-Heinis und Therapeuten, bei denen ich im Laufe der Jahre war, hatten dazu eine Million Theorien, die sich aber letztlich auf zwei reduzieren lassen:
Neid:
    auf meinen Bruder. (Den ich mir ausgedacht habe)
    auf Leute, die mehr Geld haben als ich. (Wozu fast jeder gehört. Nicht nur Sarah.)
    auf Leute mit weniger Haaren als ich. (Als ich noch ein haariges kleines Mädchen war. Noch vor der ersten Verwandlung.)
    auf Leute, die klüger sind als ich. (Da bleiben nicht so viele übrig, auf die man neidisch sein könnte, oder?)
Wut:
    auf alles Obengenannte.
    Außerdem auf meine Eltern, weil sie meinen imaginären Bruder lieber haben als mich. Und auf meinen Vater, weil er mir die Familienkrankheit weitervererbt hat. (Und
noch diverse andere Gründe, die Psycho-Heinis und Therapeuten so einfallen.)
    Und auf alle meine Lehrer und ihre Schüler.
    Echt, den Psycho-Heinis zufolge empfinde ich Wut auf alles und jeden. Vor allem auf sie.
    Ich bestehe sozusagen permanent und ausschließlich aus Wut und Neid.
    Keiner von denen kam je auf die Idee, dass ich vielleicht lüge, weil die Welt besser ist, so wie ich sie mir erdenke.

NACHHER
    Als ich aus dem Bad komme, sitzt Sarah noch immer auf dem Sofa und Tayshawn in einem Sessel ihr gegenüber. So weit entfernt wie irgend möglich.
    »Schönes Badezimmer«, sage ich. Ich weiß nicht, wo ich mich hinsetzen soll. Der leere Sessel ist zu nah bei Tayshawn und ich kann mich auch nicht aufs Sofa neben Sarah setzen. Ich will nicht, dass sie denken, dass ich will, dass wir das tun, was wir nach – während – der Beerdigung getan haben. Obwohl es genau das ist, was ich will. Ich setze mich auf den Boden. Der Teppichboden fühlt sich weich an wie Fell.
    »Du musst nicht da sitzen«, sagt Sarah. Sie klopft auf das Sofa neben sich.
    »Schon okay«, sage ich. Keiner von beiden wirkt erhitzt
und verschwitzt. Sie haben nicht dasselbe Fieber wie ich. Liegt das daran, dass

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