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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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bringen: Urin, Kacke, Kotze, Müll, Abwassergerüche, die sich ihren Weg aus dem Untergrund bahnen. Dazu noch Fahrräder, Autos und Taxis und LKWs mit ihren Abgasen, Baustellen, die nach Ziegeln, Lehm, gelötetem Metall, rostendem Metall, Plastik, Gips, Sand und Zement riechen.
    Die Essensgerüche sind die schlimmsten: brutzelndes Fleisch, Hotdogs, die unter dem Gewicht von Gurken und Senf und Ketchup platzen, faulendes Obst, verbrennende Brezeln, Zuckerwatte, Kaugummis, zerkaut und ausgespuckt. Mein Magen knurrt so laut, dass es wehtut.
    Ich lege die Hand über die Nase und versuche, durch den Mund zu atmen. Aber dann lasse ich es wieder, weil ich ja gerade versuche , ihn zu riechen.
    Als ich die Tür zu unserem Haus öffne, habe ich noch nicht die kleinste Spur des Jungen gerochen und ich bin zu hungrig, um normal denken zu können.
    Was passiert, wenn ich ihn nicht finde?
    Ich ertrage den Gedanken nicht, dass der Junge nicht für das bezahlt, was er getan hat. Ich denke an Großmutters
Spruch: Lupus non mordet lupum. »Ein Wolf beißt keinen anderen Wolf.«
    Sie beißen nicht, sie töten.

VORHER
    Es gab noch eine Gelegenheit, bei der ich den Jungen getroffen habe. Das hatte ich ganz vergessen.
    Es war mit Zach. Wir lagen auf einer Decke in seiner geheimen Höhle in Inwood und machten rum.
    Ja, ich war vor der Beerdigung schon einmal dort gewesen. Ja, ich hatte da schon rumgemacht, vor dem Mal mit Sarah und Tayshawn. Es war unser Platz, meiner und Zachs. Mir gefiel die Vorstellung nicht, dass er auch andere hierher mitgenommen hatte – andere Mädchen. Dass die Höhle nicht nur uns beiden gehörte.
    Deswegen habe ich gelogen.
    Wie viele Lügen sind das jetzt? Ich verliere den Überblick.
    Aber das ist ja eigentlich gar keine so schlimme Lüge, oder? Ich glaube, die schließe ich nicht in die offizielle Statistik ein. Es war ja nur gegenüber Sarah und Tayshawn. Und euch.
    Jetzt sage ich die Wahrheit: Ich und Zach, wir waren da, mehr als einmal.
    Ich dachte, der Platz gehörte uns. Ungemütlich, kalt und stinkig, aber nur für uns.

    Und einmal – mit Zachs Mund an meinem, mit Trainingshose auf Halbmast und hochgerutschtem T-Shirt, mit kribbelnder Haut von seinen Händen, vor Kälte und vor Lust – bekam ich plötzlich eine Gänsehaut, nicht vor Kälte oder vor Verlangen, sondern weil der Junge in der Nähe war.
    Ich zog mich zurück und achtete nicht aufs Zachs Protest. Ich legte die Hand über die Augen, um aus der Höhle zu schauen. Ich konnte nichts sehen, aber ich wusste, dass er da war. Die winzigen menschlichen Haare stellten sich mir am ganzen Körper auf. Ich kroch aus der Höhle, zog die Hose hoch und das Oberteil runter. Ich konnte etwas riechen, das zuvor nicht dagewesen war.
    Zach rief, ich solle zurückkommen.
    Ich drehte mich um und zischte ihm zu: »Pssst!«
    Da war etwas, jemand.
    Ich linste zu den Bäumen und Büschen in der prallen Sonne hinüber. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Der Wind bewegte die Bäume, sodass Blätter und Äste aneinanderrieben. Ich spürte, dass mich jemand beobachtete, aber ich konnte ihn nicht sehen. Ich erkannte den Geruch, ohne ihn benennen zu können. Erst später – als Zach schon tot war – stellte ich schließlich den Zusammenhang zwischen diesem Geruch und dem Jungen her.
    Aber ich glaube, ich wusste schon damals, dass der Geruch, der Junge, gefährlich war.

FAMILIENGESCHICHTE
    Früher haben wir Urlaub gemacht. Damals, bevor ich mich zum ersten Mal verwandelt habe, machten meine Eltern einmal im Jahr Urlaub. Nichts Tolles. Wir hatten nie viel Geld. Einmal waren wir am Strand in New Jersey in einem Häuschen, das einer Freundin von Moms Familie gehörte. Das Haus war ein wenig heruntergekommen – die Freundin hatte sich dafür entschuldigt –, aber es war ungefähr hundert Mal so groß wie unsere Wohnung. Ich fand es toll. Ich genoss den herben Salzgeruch von Ozean und Sand ganz in der Nähe. Wenn ich aufs Dach kletterte, konnte ich ihn sehen: riesig und blau und mit kleinen weißen Flecken übersät. Ganz anders als die graue, ölige Oberfläche vom Hudson und vom East River.
    Eine Woche lang sind wir jeden Tag schwimmen gegangen. Unsere Haut – selbst die von Mom – wurde wärmer und dunkler und glücklicher. Ich wünschte, wir hätten für immer dort bleiben können.
    Ein anderes Mal musste Dad einen Testbericht über ein neues Winnebago-Luxus-Wohnmobil schreiben. Wir sind damit ganz bis nach Florida runtergefahren und haben bei jedem

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