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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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von diesem letzten Mal, als ich ihn hoch oben in der Zypresse gesehen habe, gab es noch eine Gelegenheit, bei der ich kurz davor war, Zach von dem Wolf in mir zu erzählen.
    Wir haben so viel Zeit zusammen verbracht. Klar sind wir vor allem gelaufen und haben nicht viel geredet, aber wenn wir geredet haben, dann haben die Lügen meine Worte verdreht und eine Mauer zwischen uns errichtet.
    Ich wollte ihm die Wahrheit sagen: Ich bin ein Wolf.

    Zach hätte mir geglaubt. Er wusste, wie schnell ich laufen kann und wie stark ich bin. Er hatte die Spuren bemerkt, die der Wolf in der menschlichen Gestalt hinterlassen hat. »Was bist du?«, hatte er mich mehr als einmal gefragt.
    Ich überlegte, ob ich es ihm zeigen sollte. Obwohl mir nie klar war, wie ich es anstellen konnte, ohne ihn dabei zu verschrecken oder ihn zu töten. Die Vorstellung, er könnte mir bei der Verwandlung zusehen, war mir ein Gräuel.
    Wenn Zach weitergelebt hätte, dann hätte ich es ihm erzählt.
    Irgendwann.
    Zach konnte Geheimnisse bewahren.
    Ich würde es gerne Tayshawn und Sarah erzählen können, aber das geht nicht. Erstens weiß ich nicht, was sie für mich empfinden. Zweitens, ganz gleich, was sie momentan empfinden, wird unsere Freundschaft nicht lange dauern. Drittens, wenn ich ihnen die Wahrheit sage und sie mir glauben, dann werden sie auch glauben, dass ich Zach getötet habe. Und damit wäre unsere Freundschaft beendet.
    Ich habe Angst, sie zu verlieren.
    Als ich das erste Mal ansetzte, es Zach zu erzählen, knutschten wir auf einer Bank im Tompkins Square Park herum. Ich sollte schon zu Hause sein, aber wir zogen den Abschied immer weiter in die Länge, eng umschlungen saßen wir auf einer Bank, die so weit wie möglich von dem Hundeauslauf entfernt war. Manchmal ticken die Hunde nämlich aus, wenn ich ihnen zu nahe komme.
    Wir waren blöd, uns im Tompkins Square Park hinzusetzen. Das ist viel zu nahe bei mir zu Hause und es gibt
dort nicht viele verschwiegene Stellen. Aber es war schon dunkel und wir konnten einfach nicht voneinander lassen.
    Zachs Hände lagen auf meiner Taille unter meinem T-Shirt, seine Finger auf meiner bloßen Haut. Meine Hände hielten sein Gesicht. Wir küssten uns lang und innig und immer heftiger. Ich spürte, wie sich etwas in mir rührte. So wie bei meiner Verwandlung und doch ganz anders.
    »Zach«, sagte ich und zog mich zurück. »Ich muss …«
    »… jetzt gehen«, beendete er den Satz für mich. »Ich weiß, ich weiß. Nur noch ganz kurz …«
    »Nein, das meine ich nicht. Ich muss dir was sagen.«
    »Jetzt?«, fragte er und küsste mich wieder und zog mich auf seinen Schoß.
    »Ja, jetzt«, sagte ich. Er fuhr mir mit den Fingern sanft über die Seite. Ich spürte es tief in mir, wo der Wolf sitzt. »Oh«, sagte ich.
    »Mmmmm«, murmelte er und küsste mich seitlich am Hals. Die Wärme breitete sich in mir aus vom Bauch bis zum Hals. Meine Lippen kribbelten ebenso wie meine Zehen.
    »Ich bin …«, hob ich an, entschlossen, es ihm zu erzählen. »Ich bin …« Ich hielt inne und überlegte, wie ich es formulieren sollte, und versuchte dabei, mich nicht von dem warmen, schönen, kribbeligen Gefühl in mir ablenken zu lassen. Sollte ich sagen: Ich bin ein Wolf ? Oder: Ich bin ein Werwolf ? Was hörte sich weniger verrückt an? Was sollte ich als Nächstes sagen, um zu beweisen, dass ich nicht durchgeknallt war?
    »Micah?«, sagte eine Stimme, die sich genau wie die meiner Mutter anhörte. »Bist du das?«

    Ich rutschte auf Zachs Schoß hin und her. Mom und Dad. Hier, mitten im Tompkins Square Park.
    »Was ist hier los?«, fragte mein Vater.
    Zach und ich sprangen auf, aber wir waren so ineinander verschlungen, dass sein Kinn auf meinen Kiefer schlug und ich ihn mit dem Ellbogen an der Brust erwischte. Ich stürzte. Er stürzte. Wir rappelten uns auf und trennten uns. Er senkte den Blick. Ich schaute zu meinen Eltern, die uns mit bitterbösen Blicken bedachten.
    »Ich weiß nicht, wer du bist, junger Mann«, sagte mein Vater, »aber du verschwindest jetzt lieber mal.«
    »Das hier ist ein öffentlicher Park«, sagte ich, obwohl ich nicht recht wusste, warum ich mich gegen meine Eltern wehrte. Ich saß in der Klemme.
    »Geh«, sagte meine Mutter zu Zach.
    Zach nickte und hielt dabei den Kopf weiter gesenkt. »Tut mir leid, Ma’am. Ich hab nicht – wir haben nicht … ich respektiere …«
    »Geh jetzt «, sagte Dad.
    Zach ging und blickte für den Bruchteil einer Sekunde zu mir zurück, die Hand leicht

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