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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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Füchse schmecken gottserbärmlich. Ich kann mich an jeden widerlichen Bissen erinnern.

    Ich habe Zach nicht gefressen.
    Ich habe Zach nicht einmal gesehen.
    Nicht, solange ich ein Wolf war.
    Wie hätte ich ihn töten sollen?
    Im Central Park gibt es nicht gerade viele Stellen, an denen sich ein Wolf verstecken könnte. Im Laufe von vier Tagen hätte man mich entdeckt und in einen Käfig im Zoo gesperrt oder so. Und dann – Überraschung! – hätte ich mich zurückverwandelt und sie hätten eine nackte Siebzehnjährige in ihrem Käfig gehabt.
    Das konnte ich nicht riskieren.
    Aber Inwood, Inwood ist viel dichter bewaldet. Da gibt es Höhlen, in denen man sich verstecken kann, Heide, weniger Menschen. Deswegen bin ich dort hingegangen, als die Verwandlung einsetzte und ich wusste, dass ich es nicht mehr bis nach Hause schaffen würde.
    Ja, ich weiß, Zach hat in Inwood gewohnt, aber das war nicht der Grund, warum ich dorthin gegangen bin. Ich hatte mir schon lange überlegt, dass dort der sicherste Ort wäre. Verdammt, es ist vermutlich der einzige Ort auf der ganzen Insel Manhattan, an dem sich ein Wolf vier Tage lang verstecken kann. Der einzige Ort, der noch so ist, wie er vor der Ankunft des Weißen Mannes, vor Autos und Abgasen und Wolkenkratzern war. Die größte und wildeste Fläche, die Manhattan zu bieten hat.
    Ich habe Zach nicht gesehen. Ich habe ihn nicht getötet.
    Ich hätte ihn nicht getötet. Ich hätte es nicht gekonnt.

NACHHER
    Bevor Dad ins Bett geht, teilt er mir mit, dass sie mich gleich am nächsten Morgen auf die Farm bringen werden.
    »Und was ist mit dem Jungen?«, frage ich. »Es gibt ihn wirklich. Ich hab ihn mir nicht ausgedacht.«
    »Das kann ich jetzt nicht brauchen«, sagt Dad.
    »Ich hab den Oldies versprochen, dass ich ihn mitbringe. «
    »Hör auf, Micah.« Ich weiß, dass er glaubt, ich lüge. Er glaubt, dass der Junge gar nicht existiert. Dass ich Zach umgebracht habe. Nicht indirekt, indem ich die Verwandlung des Jungen ausgelöst habe, sondern direkt mit meinen Zähnen und Klauen. Ich vermute, Mom glaubt das auch.
    »Ich habe ihn nicht …«, setze ich an.
    »Halt die Klappe, Micah«, sagt Dad. »Es ist mir egal, ja? Gleich morgen früh bringen wir dich zu meiner Mutter und da bleibst du dann. Wenn dieser Junge tatsächlich existiert, dann stellt er keine Gefahr mehr dar, sobald du weg bist, oder? Und jetzt geh schlafen.«
    »Aber ich …«
    »Micah, wir diskutieren das jetzt nicht. Das ist beschlossen und Punkt.«
    Sein Gesicht ist kalt und schmal. So hat er mich noch nie angesehen.
    Ich gehe in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Es ist mir noch nie so klein vorgekommen. Der Käfig nimmt die meiste Fläche ein. Gott, wie ich diesen Käfig hasse. Draußen auf der Farm gibt es keinen Käfig. Aber auch kein Leben.

    Ich hätte mich gegen Dad wehren können. Ich bin stärker als er. Er kann mich nicht mit Gewalt dazu bringen, ihm zu gehorchen. Aber ich liebe ihn und Mom und will von ihnen geliebt werden. Ich glaube, das tun sie nicht mehr. Ich glaube, es ist lange her, dass sie mich geliebt haben. Ich habe unsere Familie zerstört. Wenn sie mich jetzt auf der Farm zurücklassen, werden sie dann noch zu Besuch kommen? Oder ist das dann das Ende?
    Ich lasse mich auf den Boden gleiten und lehne mich gegen die Kühlschranktür.
    Wie kann ich es wiedergutmachen? Wie kann ich ihre Liebe zurückerobern? Wie kann ich verhindern, dass sie mich wegschicken?
    Ich muss den Jungen finden und ihn herbringen, beweisen, dass es ihn gibt und dass er Zach getötet hat, nicht ich. Dann können sie ihn auf die Farm zu den Oldies bringen und ich kann hierbleiben. Ich werde versprechen, dass ich die Pille nie mehr vergesse. In den fünf Jahren seit meiner ersten Verwandlung habe ich es nur zwei Mal vergessen. Das kann ich besser machen. Dann kann ich die Schule beenden, aufs College gehen und mein Leben leben.
    Eigentlich müsste ich erschöpft sein. Bin ich aber nicht. Ich klettere aus dem Fenster. So leise wie möglich schiebe ich es ein winziges Stückchen hoch und quetsche mich hindurch.
    Ich werde den Jungen finden.

NACHHER
    Ich streife durch den Stadtteil und konzentriere mich ganz auf den Geruch – den Geruch des Jungen. Ich bin hin und her gerissen, ob ich ihn wirklich finden will. Ihn auf die Farm zu bringen, ist das, was er verdient. Die Oldies werden sich um ihn kümmern.
    Aber was ist, wenn das Mom und Dad nicht reicht? Was ist, wenn es ihnen nicht reicht, dass ich ihn finde

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