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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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Campingplatz unterwegs haltgemacht. Disneyworld konnten wir uns nicht leisten, aber wir sind an den Schildern vorbeigefahren. Aber mir hat es so gut gefallen, aus der Stadt herauszukommen und jeden Tag etwas Neues zu sehen, dass es mir nichts ausgemacht hat.
    Dad kaufte mir meine erste Zuckerwatte als Ersatz für Disneyworld. Sie war groß und blau und löste sich in meinem Mund zu einer süßen chemischen Säure auf. Ich
aß sie ganz langsam und genoss und wünschte, ich könnte jeden Tag Zuckerwatte kriegen.
    In North Carolina, South Carolina, Georgia und Florida haben wir im Meer gebadet. Es war in jedem Bundesstaat derselbe Ozean. Derselbe wie am Strand von New Jersey. Als ich klein war, kam mir das unbegreiflich vor. Magisch.
    Nachdem ich mich verwandelt hatte, gab es keine Urlaube mehr. Nicht für mich. Es gab die Stadt oder die Farm oder gar nichts.
    Einmal habe ich den Vorschlag gemacht und meine Mom gefragt, ob wir nicht mal nach Frankreich fahren könnten, wo sie herstammt. Sie warf mir nur einen vielsagenden Bist-du-verrückt-geworden-du-gehst-gar-nirgends-hin-Blick zu. »Wir haben nicht genug Geld«, sagte sie dann. Aber was sie dachte, war: Wie soll ein Wolf reisen? Was ist, wenn du deine Pille vergisst und im Flugzeug anfängst, dich zu verwandeln? Oder in einem Hotelzimmer? Oder draußen auf der Straße in einer fremden Stadt?
    Keine Reisen für dich, Micah. Niemals.
    Die Verwandlung hat jeden Bereich meines Lebens versperrt.

NACHHER
    Es ist spät, als ich nach Hause komme, aber meine Eltern sind noch wach und sitzen beide am Küchentisch und
schauen mich an. Sie wollen reden. Ich versuche, nicht zu stöhnen.
    »Und, wie war’s?«, fragt Dad, noch bevor ich Zeit hatte, meinen Rucksack abzustellen oder aufs Klo zu gehen oder um etwas zu essen zu bitten – zu betteln.
    »Gut«, sage ich.
    »Geht’s allen gut?«, fragt Mom, obwohl ihr das eigentlich ganz egal ist. Sie mag keinen von den Wilkins. Ebenso wenig, wie die sie mögen. Aber von denen hat sich keiner zu der geheuchelten Höflichkeit aufgerafft, nach ihrem Wohlergehen zu fragen.
    Ihre Fragen machen mich nervös. Hier geht es offenbar nicht um meinen Ausflug, sondern um etwas ganz anderes. Mein Magen knurrt so laut, dass sie es gehört haben müssen. Aber keiner bietet mir etwas zu essen an.
    »Komisch«, sagt Dad. »Ich habe zufällig deine Biolehrerin, Ms Shoji, getroffen. Sie wollte wissen, wie es dir geht. Ich hab’s ihr gesagt, und dann erzählte sie, dass Zachary Rubin anscheinend von Hunden getötet wurde. Wie schrecklich das sei, aber wie erleichtert sie wäre, dass man nun endlich wüsste, was geschehen ist. Sie dachte, ich wüsste es schon.«
    »Hunde«, sagt Mom. »Wir fragen uns, warum du uns das nicht erzählt hast.«
    Ich lasse mich gegen den Kühlschrank sinken, lehne mich an den Rucksack zwischen mir und ihm und schließe die Augen. Mein Magen knurrt noch lauter. Ich habe Hungerkopfschmerzen. Sie mussten es ja herausfinden. Was für ein Glück, dass sie es nicht schon in der Zeitung gesehen haben. »Ich war das nicht«, sage ich schließlich. »Ich war es wirklich nicht.«

    »Vier Tage, Micah. Du warst vier Tage verschwunden. «
    »Du bist barfuß nach Hause gekommen, in fremden Kleidern«, sagt Dad. »Du warst völlig abgerissen.«
    Das weiß ich. Warum erzählen sie mir etwas, das ich schon längst weiß? »Ich hab ihn nicht umgebracht.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragt Dad. Seine Augen sind feucht. Mein Vater weint eigentlich nie.
    »Weil ich mich daran erinnern würde. Ich erinnere mich an alles, was ich getötet habe.« Dad zuckt bei diesen Worten zusammen. Mom wendet den Blick ab, aber ich lasse mich nicht irritieren. »An jedes einzelne. Und ich habe nie was Größeres als ein Reh getötet.«
    »Rehe können auch ganz schön groß sein«, bemerkt Mom. Sie kneift die Lippen fest zusammen. Ihre Augen sind klar. »Zach war dünn.«
    »Er war über 1,90 m groß. Er hat viel mehr gewogen als ein Reh«, sage ich. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Manche Tiere, die ich gerissen habe, könnten leicht ihre 80 kg gewogen haben. »Außerdem habe ich noch nie ein Reh alleine getötet. Hilliard jagt immer mit mir. Genau wie meine Cousins.«
    »Die Polizei sagt, es waren Hunde. Für wie wahrscheinlich hältst du das, Micah?«
    »Die wüssten doch, wenn es ein Wolf gewesen wäre. Dann würden sie es sagen!«
    Meine Eltern schweigen jetzt. Die winzige Küche ist erfüllt von ihrem Misstrauen, ihrer Traurigkeit, ihrer

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