Luegst du noch oder liebst du schon Roman
laut schnalzen ließ. Dabei formten ihre überschminkten blutroten Lippen immer und immer wieder dieselben Worte: »Sie nehmen Ihre Zielgruppe und das Thema nicht ernst!«
»Hat sie denn schwarze Haare?«, fragt Dominic belustigt, als ich ihm kurze Zeit später von meinem Albtraum erzähle, nachdem ich ihm zuvor gratuliert und das Geschenk überreicht habe. Lucia steht neben ihrem Vater,
eingehüllt in ein rosa Nachthemd und einen pinkfarbenen Frotteebademantel. Ihre zarten Händchen umklammern mein Hosenbein, während ich mit Dominic spreche.
»Nein, hat sie nicht. Der Witz ist, dass sie eigentlich aussieht wie ein Engel. Langes blondes Wallehaar, babyblaue Augen und herzförmige Lippen. Tatsächlich aber scheint sie ein Engel des Todes zu sein«, sage ich mit Blick auf das Krimicover.
»Onkel Oliver, spiel mit mir. Jetzt!«, fordert Lucia ungeduldig und zerrt weiter an meiner Jeans.
»Da musst du wohl durch, Onkel«, grinst Dominic und wendet sich einem anderen Gast zu.
Lucia nimmt meine Hand und zieht mich in ihr Kinderzimmer. An der Tür zucke ich zurück, erschlagen von dieser Orgie aus Pink, Rosa, Lila und Glitzer. Nachdem ich ihre Barbie-Devotionalien (Mann, die wird auch schon fünfzig, wer hätte das gedacht?) bewundert habe, bereue ich es beinahe, ihr ebenfalls etwas aus dieser Farbskala mitgebracht zu haben. Statt der hellrosa Lillifee-Geldbörse und den dazu passenden Socken hätte ich wohl lieber etwas in gesetztem Dunkelblau aussuchen sollen. Doch Lucias Freudengeheul zeigt, dass sie total auf Rosa fixiert ist.
Nachdem sie ihre Socken anprobiert hat, bittet sie mich, Pferdchen zu spielen. Was im Klartext bedeutet, dass ich mich zum Affen machen, auf allen vieren auf dem Boden herumkriechen und wiehern muss, während sie auf meinem Rücken thront und mich antreibt. Erst nach etwa zehn (gefühlten hundert) Runden durchs
Zimmer hat mein Patenkind schließlich Erbarmen mit mir.
Als Nächstes steht »Fang den Fisch!« auf dem Programm. Hochkonzentriert versuchen wir, unterschiedlich große Fische aus Pappe mithilfe einer Angelschnur aus dem Aquarium zu fischen. Dabei bildet ein Magnet unseren Köder. Ich persönlich finde die Angelegenheit reichlich unspannend und kann nicht verhindern, dass meine Gedanken zum Hochseeangeln im Indischen Ozean wandern. Vielleicht könnte ich mich damit für die Fertigstellung meines Buches belohnen?
»Onkel, du passt ja gar nicht auf!«, beschwert sich die Sechsjährige vorwurfsvoll, als ich einen alten Schuh am Haken habe und ihn zum Rest der Ausbeute lege. Lucias Ton entspricht original dem ihrer Mutter. Vielleicht sollte ich Carla mal stecken, dass das auf Mitglieder des männlichen Geschlechts eher abschreckend wirkt? Just in diesem Moment betritt Dominics Frau das Zimmer und ermahnt ihre Tochter, endlich ins Bett zu gehen. Ich bin erleichtert, auch wenn es Spaß gemacht hat, mit Lucia zu spielen. Aber jetzt ist es definitiv wieder Zeit, sich mit Erwachsenen zu umgeben.
Während ich das Buffet in der Küche plündere, klingelt es pausenlos an der Tür, allmählich füllt sich die Wohnung.
Die Petrocelli-Gründlichs leben in Ottensen, dem Hamburger Stadtteil mit der höchsten Kinderdichte, wenn ich meiner Wahrnehmung trauen darf. Auf Schritt und Tritt begegnet man Klein- und Großfamilien. Für mich wäre das absolut nichts, ich liebe meine ruhige Wohngegend
in Alsternähe. Für Dominics Therapiepraxis ist Ottensen natürlich der ideale Standort, zumal diese nur fünf Gehminuten von der Wohnung entfernt ist.
»Oliver Kramer, na, das ist ja eine Überraschung«, vernehme ich eine weibliche Stimme dicht an meinem Ohr.
Das ist doch nicht etwa …?
Irritiert drehe ich mich um und blicke direkt in die waldseegrünen Augen von Nina, meiner Drei-Wochen-Affäre vom letzten Jahr. Was, zum Teufel, macht die denn hier?
»Ja, das nenne ich wirklich Zufall«, entgegne ich so höflich wie möglich.
Nina und ich haben uns im Streit getrennt, weil sie mehr von mir erwartet hatte, als ich ihr zu geben bereit gewesen war, wie man so schön sagt.
»Oh, du kennst Nina?«, fragt ihr Begleiter, Carsten Baumann, der Kollege von Dominic, mit dem er sich die Praxis teilt.
»Ja, wir kennen uns. Nina hat mal ein Interview mit mir geführt«, antworte ich knapp und suche nach irgendeinem cleveren Spruch, um einen Abgang zu machen. Ich will ja nicht den gesamten Abend mit Carsten Baumann und seiner Neuerwerbung verbringen.
Nina jedoch scheint entzückt zu sein, mich hier zu
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