Luegst du noch oder liebst du schon Roman
Friseurtermin habe ich eine Stunde Zeit. Gähnend kokettiere ich mit dem verführerischen Gedanken, verwerfe ihn jedoch sogleich. Ich werde die Zeit lieber nutzen, um den Wochenendeinkauf zu erledigen. Wenn das gemacht ist, habe ich Muße, mich auf meine inneren und äußeren Werte und damit endlich einmal auf niemand anderen als mich selbst zu konzentrieren …
»Was schwebt dir denn so vor?«, fragt Lilian, die Hairstylistin bei Schöne Schnitte (Empfehlung von Mia) und fährt durch mein mausbraunes, halblanges Haar. Ich trage seit ungefähr zehn Jahren dieselbe Frisur: kinnlang,
Seitenscheitel. Ich halte nichts von stundenlangen Föhnaktionen und habe auch keine Zeit dafür.
»Wie wär’s mit weichen Stufen und einem modischen Undercut-Pony?«, schlägt Lilian vor und zeigt auf die vor mir liegende Tafel mit künstlichen Farbsträhnen. »Und ich würde für einen weichen Karamellton plädieren, am besten durchsetzt mit zarten goldenen Highlights.«
Puh, das klingt zeitaufwendig und teuer! Aber egal - Lilian lächelt selig, als ich mein Okay gebe. Zur Belohnung erhalte ich einen wunderbar schaumigen Milchkaffee und die neuesten Ausgaben von Vogue , Gala und Myself . Kein Vergleich zu meinen sonstigen Friseurbesuchen.
Ich beschließe, ab sofort jede Sekunde dieser unverhofft freien Tage zu genießen und es mir richtig gut gehen zu lassen. Denn wenn es mir gut geht - so meine neueste Theorie -, wird sich auch alles andere in meinem Leben zum Positiven wenden.
Während Lilian mir eine pflegende Kurpackung ins Haar massiert, bin ich kurz davor, zu schnurren wie eine Katze. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt ein erwachsener Mensch mich berührt hat, der nicht Mia oder meine Gynäkologin war.
Zwei Stunden später verlasse ich den Salon und fühle mich wie eine Prinzessin. Und weil ich gerade so in Schwung bin und mein Spiegelbild am liebsten ununterbrochen bestaunen würde, gehe ich gleich in die Boutique ein paar Häuser weiter. Vielleicht muss ich gar nicht in die seelenlosen Geschäfte und Kaufhäuser der Innenstadt, sondern werde hier in meinem Viertel fündig.
Doch als ich die Preisschilder der Kleidungsstücke lese, wird mir abwechselnd heiß und kalt. Neunundachtzig Euro für einen gestrickten Hauch von Nichts finde ich nun doch ein wenig happig. Dennoch probiere ich ein besonders hübsches Kleid an und falle beinahe in Ohnmacht, als ich den Reißverschluss nicht zubekomme. Offenbar benötige ich jetzt Größe 38/40 statt wie bisher 36/38.
Mit diesen neuen Erkenntnissen und einem Becher mit Rosenmotiven im Gepäck verlasse ich TM ROOM 77 und lenke meine Laufrichtung zur U-Bahn. Nun werde ich mich wohl doch in der Mönckebergstraße umsehen müssen - wie alle anderen, die wenig Geld haben.
Kurz nach halb neun abends lege ich mich erschöpft auf das Sofa in meinem Wohnzimmer. Zwei Kleider, eine coole Jeans und drei Oberteile - so die Bilanz meines Einkaufsbummels, der diesen Namen wahrlich nicht verdient hat. Ich würde das Ganze vielmehr als harte Arbeit bezeichnen. Keine Ahnung, weshalb so viele Frauen diesem Hobby geradezu verfallen sind. Aber vermutlich fehlt mir einfach das entsprechende Shopping-Gen.
Nachdem ich Mia telefonisch von meinem Beutezug berichtet und mir eine erneute Rüge dafür eingefangen habe, kein Handy mit Fotofunktion zu besitzen (»Dann könntest du mir jetzt eine MMS schicken!«), mache ich mich daran, meine Kleidung von Preisschildern und Etiketten zu befreien.
Im Schlafzimmer empfangen mich Berge von Klamotten, die immer noch herumliegen, weil ich sie nach meiner
panischen Outfit-für-Sonntag-Suche noch nicht weggeräumt habe. Eigentlich müsste ich die alle verkloppen!, denke ich, und Visionen von Flohmärkten, Secondhandshops und eBay-Auktionen wabern durch meinen Kopf. Dann hätte ich mehr Platz und würde ganz nebenbei noch etwas verdienen.
Dementsprechend motiviert fahnde ich im Netz nach Flohmarktterminen, denn bei einer solchen Gelegenheit könnte ich gleich bei Sammy mit ausmisten. Im Laufe der Zeit hat sich da so einiges angesammelt, was er nicht mehr braucht.
Ich habe Glück und werde fündig. Vor dem Schlachthof im Schanzenviertel findet am Samstag ein Flohmarkt statt. Der Stand ist schnell gemietet, der Organisator ist nämlich per Handy erreichbar. Natürlich ist es ein bisschen verrückt, sich am Vorabend zu einer solch aufwendigen Aktion zu entschließen, aber irgendwie habe ich große Lust dazu. Vielleicht kann ich ja meine Nachbarin Karen
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