Luegst du noch oder liebst du schon Roman
nichts davon gesagt, dass er zusammen mit einem Mädchen die Hauptrolle in dieser Inszenierung hat? Das ist ja der absolute Wahnsinn! Schade, dass Ralf diesen wundervollen Moment nicht miterleben kann …
Ich versuche, einen kurzen Anfall von Melancholie niederzukämpfen und mich stattdessen auf Sammy zu konzentrieren. Wie erwachsen er plötzlich aussieht! Kaum zu glauben. Auch das Mädchen, eine Art Gothic-Schneewittchen, ist bezaubernd und äußerst talentiert, soweit ich das beurteilen kann. Ich muss unbedingt mit der Klassenlehrerin sprechen - vielleicht sollte man Sammy mit zusätzlichen Stunden fördern?
Ich kann kaum aufhören zu klatschen, als die zehnminütige Darbietung zu Ende ist, während meine Mutter vom Stuhl aufspringt und lautstark zu johlen und zu pfeifen beginnt. »Na, Oma, bist du stolz?«, necke ich sie. Tosender Beifall erfüllt den Schulhof, und die Kids verbeugen sich artig vor ihrem Publikum.
Urte Glockenbauer bedankt sich bei den Schülern und Tobias Bundschuh, dem Sportlehrer, der für die gelungene Inszenierung verantwortlich ist.
»Den musst du dir unbedingt beim Grillfest schnappen!«, erklärt meine Mutter. »Sammy ist ein Hammer-Tänzer, da müssen wir dranbleiben.«
Hat meine Mutter eben Hammer-Tänzer gesagt?!
Bevor das Grillen jedoch beginnt, folgt ein Mini-Konzert der Viertklässler, die damit ihre Abschiedsvorstellung geben, bevor sie nach den Sommerferien auf weiterführende
Schulen wechseln. Auch hier zeigt sich die besondere Qualität von Sammys Schule: Einige der Kinder spielen wirklich gut. Vor allem der Schlagzeuger ist der Hammer, wie meine Mutter sagen würde.
Nach der Aufführung werfen die Lehrer die drei großen Grills an, und wir Eltern bauen das Buffet auf. Binnen Minuten türmen sich Salate, Antipasti, Kuchen und andere Leckereien, die wir in Kühltaschen und sonstigen Behältnissen mitgeschleppt haben, auf den langen Tapeziertischen. Meine Mutter und ich steuern schwäbischen Kartoffelsalat und rote Grütze mit Vanillesoße bei. Den Kartoffelsalat hat meine Mutter gemacht, mein Beitrag besteht darin, dass ich die Grütze und die Soße gekauft habe. Ursprünglich wollte ich Muffins backen, doch ich wurde durch diverse Telefonate mit Julius daran gehindert. Fast der ganze Vormittag ging dafür drauf, meine aktuelle Job-Misere in den Griff zu bekommen …
»Toll hast du das gemacht, mein Schatz!«, lobe ich Sammy. Er ist immer noch außer Atem und hat rote Bäckchen. In dieser Umgebung kommt er mir viel größer und erwachsener vor. Meine Mutter umarmt ihn und hat ebenfalls einen roten Kopf. Was aber eher an dem Glas Sekt liegt, das sie sich gerade zu Gemüte führt.
»Du warst echt super! Du tanzt genauso gut, wie du trommelst«, schwärme ich und reiche Sammy zur Feier des Tages ein großes Glas Cola. »Und wie heißt deine Partnerin?«
Irre ich mich, oder wird sein Gesicht noch röter?
»L … o«, murmelt er mit gesenktem Kopf und sieht auf einmal wieder richtig kindlich aus.
»Wie bitte?«, frage ich nach, während das besagte Mädchen auf uns zukommt. Na, dann kann ich ihr ja gleich persönlich sagen, wie schön sie getanzt hat.
»Lilo«, wiederholt Sammy und reckt trotzig sein Kinn.
Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Also das ist das Mädchen, das meinem Sohn das Herz gebrochen hat? Na warte, die soll mich kennenlernen!
»Hallo, Frau Peters, ich bin Lilo«, stellt sie sich artig vor und nimmt mir damit den Wind aus den Segeln.
»Das habt ihr beide ganz toll gemacht«, antworte ich, schon etwas milder gestimmt. Immerhin ist sie von sich aus zu uns gekommen. So egal kann Sammy ihr also gar nicht sein.
»Möchtest du auch eine Cola?«, frage ich. Lilo schüttelt den Kopf. »Nein danke, so etwas darf ich nicht trinken.«
Sie spricht »so etwas« aus, als hätte ich ihr gerade ein Glas pürierten Mäusedreck angeboten.
»Wie wär’s dann mit Apfelsaftschorle?«, versuche ich es weiter, doch Prinzesschen schüttelt den Kopf.
»Ich darf nur stilles Mineralwasser, ungesüßten Pfefferminztee und Sojamilch trinken«, erklärt sie, und ich erwäge kurz, mir ihre Eltern vorzuknöpfen und sie vor den Folgen allzu großer Strenge zu warnen.
Während ich mich innerlich schon in Rage rede, nähert sich Tobias Bundschuh, Sportlehrer und Choreograph, unserer kleinen Runde.
»Ach, hier bist du«, ruft er.
Nanu? Ist dieser Mann etwa Lilos Vater?
»Ich bin Franca Peters, Sammys Mutter, und das ist
meine Mutter, Hilda Melzer«, sage ich und
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