Luegst du noch oder liebst du schon Roman
schaue mich unauffällig nach Frau Bundschuh um. Doch die ist nirgends zu sehen.
»Die Aufführung war wirklich großartig! Ich wusste gar nicht, dass mein Sohn so gut tanzen kann.«
Sammy tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen und vermeidet jeden Blickkontakt, während Lilo auf die rote Grütze starrt wie eine Verhungernde auf eine Schüssel Pasta. Tobias Bundschuh strahlt und nimmt seine Tochter in den Arm.
»Ja, wenn Sie mich fragen, schlummert in den beiden echtes Talent. Vielleicht können wir ja gelegentlich mal telefonieren und über Sammy sprechen«, schlägt er vor, während Lilo die Augen verdreht.
»Klar«, antworte ich und kritzle meine Telefonnummer auf eine weiße Papierserviette. »Übrigens wollte ich Lilo gerade ein Getränk anbieten, aber sie hat mir gesagt, dass sie weder Apfelsaft noch Cola trinken darf. Eigentlich geht es mich nichts an, aber ist das nicht ein bisschen sehr streng?«
»Nicht, wenn ein Kind auf so gut wie alles allergisch reagiert.«
Ups, da habe ich mich wohl etwas zu sehr aus dem Fenster gelehnt.
»O, tut mir leid, das wusste ich nicht«, entschuldige ich mich. »Das muss wirklich schwer für Sie sein.«
»Ist es auch. Diese Zöliakie und Laktose-Intoleranz treiben mich manchmal wirklich in den Wahnsinn … und an meine Grenzen.« Tobias Bundschuh wirkt auf einmal traurig.
»Aber bestimmt darf Lilo rote Grütze essen, zumindest ohne Vanillesoße«, schlage ich vor, in der Hoffnung, wieder etwas Leichtigkeit in unser Gespräch zu bringen, schließlich ist Sammys Lehrer wirklich sympathisch. Etwa in meinem Alter, rothaarig, mit kleinen, frechen Sommersprossen auf den gebräunten Oberarmen und graublauen, freundlichen Augen.
»Aber nicht viel. Hier Lilo, ich habe glutenfreie Muffins dabei.« Während die Kleine sich einen Teller nimmt und Sammy sich wortlos Unmengen von Kartoffelsalat in den Mund schiebt, biete ich Tobias Bundschuh ein Glas Sekt an, das er dankend annimmt.
»Wo ist denn Ihre Frau?«, frage ich, während wir anstoßen. Ich selbst gönne mir auch ein halbes Gläschen.
»Mami ist tot«, flüstert Lilo, und ich verschlucke mich fast. O mein Gott! Ich trete in ein Fettnäpfchen nach dem anderen.
»So ihr beiden, wollen wir mal schauen, wie weit die anderen mit dem Grillen sind?«, fragt meine Mutter und zieht Lilo und Sammy energisch mit sich. Ich bin äußerst verlegen, jetzt, wo wir beide alleine hier stehen.
Herrn Bundschuh scheint es ähnlich zu gehen. Glücklicherweise naht Rettung in Form von Tina Schubert, Sammys Klassenlehrerin. Ich nutze die Gelegenheit, um ebenfalls zum Grill zu gehen. Doch weder Schinkenwürstchen noch gegrillte Maiskolben können mich wirklich ablenken. Tobias Bundschuh ist also alleinerziehender Vater … genau wie Oliver!
Erstaunt stelle ich fest, dass ich heute zum ersten Mal an ihn denke. Die Telefonate mit Julius, die Vorbereitungen
für das Schulfest und der ganze Trubel haben mich meinen Liebeskummer tatsächlich für ein paar Stunden vergessen lassen. Da er sich auch am Wochenende nicht gemeldet hat, gehe ich nun fest davon aus, dass Oliver tatsächlich anderweitig liiert ist.
»Sie sehen so traurig aus, ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, reißt mich die Stimme von Herrn Bundschuh aus meinen trüben Gedanken. Offenbar hat er genug mit Tina Schubert geplaudert und sucht nun meine Nähe.
»Ja, ja, alles okay«, erwidere ich und versuche zu lächeln. Angesichts des Schicksalsschlages, den dieser Mann erlitten hat, schäme ich mich fast für meine Problemchen.
Nachdem ich Sammy abends zu Bett gebracht und wir noch eine Weile im Atlas (seinem aktuellen Lieblingsbuch!) herumgeblättert haben, trinke ich zusammen mit meiner Mutter ein Glas Wein. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, morgen zieht sie wieder in ihre Wohnung.
»Was hältst du davon, wenn ich demnächst mit Sammy an die Ostsee fahre? Ich miete dort eine größere Wohnung, und sobald deine Zeit es erlaubt, kommst du uns besuchen. Dann kannst du dich in Ruhe nach einem neuen Job umsehen, vielleicht auch die Geschichte mit diesem Oliver ins Reine bringen. Außerdem hast du mehr Zeit für dich.«
»Das wäre wirklich … wundervoll«, juble ich und falle meiner Mutter um den Hals. »Was würde ich bloß ohne dich tun? Du bist ein Schatz!«
»Du würdest auch ohne mich zurechtkommen. Doch wenn ihr mich braucht, bin ich natürlich immer für euch da. Im Übrigen macht es mir Spaß, einmal allein mit meinem Enkel wegzufahren. Aber was ist jetzt
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