Luegst du noch oder liebst du schon Roman
erinnere ich mich hingegen daran, dass die Mädels an der Uni total auf diese Frauenversteher-Attitüde flogen!
Doch im Gegensatz zu Dominic, der schon sehr früh wusste, dass er mit Kindern arbeiten wollte, war ich lange Zeit unsicher, welches Spezialgebiet ich wählen sollte. Alles, was ich wusste, war, dass ich nichts mit den wirklich schweren und anstrengenden Fällen zu tun haben wollte.
Wenn ich ehrlich bin, hatte ich damals eher eine klischeehafte Vorstellung von der Arbeit eines Therapeuten, so wie man sie aus Filmen kennt: ich, mit Lesebrille auf der Nase (auch wenn ich sie damals noch gar nicht gebraucht hätte), in einem schicken Sessel von Le Corbusier oder einem anderen angesagten Designer, vor mir ein adretter und nicht allzu gestörter Patient, der mich mit seinen Geschichten unterhält.
Ich nicke ab und zu, sage »Ach wirklich?«, mache mir eifrig Notizen und schaue ansonsten aus dem Fenster und träume davon, wie ich das üppige Honorar am besten verbrate.
Doch die Wirklichkeit sah anders aus: Mein Sessel wie auch die Couch stammten von Ikea, denn Dominic legte Wert darauf, die Patienten nicht durch allzu teure Möbel einzuschüchtern. Er wollte auf Augenhöhe mit ihnen sein. Meine Patienten waren alles andere als pflegeleicht: traumatisiert, depressiv, vom Borderline-Syndrom gezeichnet oder schlicht schizoid. Ihre Geschichten waren
allesamt eher traurig und bedrückend als unterhaltsam und nicht jede Patientin so hübsch, wie ich es mir erträumt hatte.
Kurz: Ich war enttäuscht, und bald war Dominic es auch. Während er morgens gut gelaunt in die Praxis kam, schleppte ich mich jeden Tag lustloser dorthin. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem Dominic mich mit ernster Miene in sein Zimmer bat und fragte, ob es mir gut ginge.
»Aber klar doch«, antwortete ich mit einem letzten Rest von Energie, denn auf Diskussionen hatte ich keine Lust. Und ich sah es Dominic an der Nasenspitze an, dass genau eine solche bevorstand. Also bot ich ihm von mir aus an, zu gehen, bevor er mich darum bitten musste.
Okay, wenn ich es recht bedenke, hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht viel geändert!
Mir wäre es zwar mittlerweile egal, auf welchem Sessel ich sitze, solange er meine Bandscheiben nicht malträtiert, aber, wenn ich ehrlich bin, habe ich immer noch keine Lust auf diese Art von Patienten. Ich könnte mir viel eher vorstellen, mit ein bisschen esoterischem Chichi herumzuzaubern und betuchten Sinnsuchenden Wellness für die Seele anzubieten.
Schon erstaunlich, wie sehr ich meine Meinung über Esoterik in den letzten Tagen geändert habe. Ich entwickle plötzlich ein Interesse daran, wie ich es in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte. Gerade gestern war ich nochmals in der Buchhandlung Wrage, um mich mit weiteren Büchern, CDs und diesmal
auch mit Räucherstäbchen und Salbei (!) einzudecken. Ich habe ein Vermögen ausgegeben und dabei so viel Spaß gehabt wie schon lange nicht mehr.
Das bringt mich auf eine Idee. Ich beende für heute meine Arbeit am Computer und widme mich stattdessen einer weitaus sinnvolleren Tätigkeit: dem Liebes-Exorzismus. Ich werde mithilfe von Salbei den Geist Francas aus meiner Seele und aus meiner Wohnung vertreiben, auch wenn sie bislang noch gar keinen Fuß über meine Schwelle gesetzt hat.
Wild entschlossen suche ich in meinem Küchenschrank nach einem feuerfesten Gefäß und lege schließlich die getrockneten Blätter in die Tonschale. Nachdem ich ein Streichholz darangehalten habe und der Salbei zu glimmen beginnt, geht es los: Ich trage das Gefäß mit dem süßlich duftenden Inhalt (der, wie ich finde, ein wenig nach Marihuana riecht) in den ersten Raum - das Schlafzimmer. Ich schreite jede Ecke ab, halte das Kraut hoch in die Luft und murmle dabei ein selbst erdachtes Mantra: »Liebe Franca, ich achte und ehre deine Anwesenheit, dulde dich jedoch nicht länger in meinem Leben. Es war toll, dich kennengelernt zu haben. Mach’s gut.«
Natürlich ist dieser Satz ein bisschen lang für diese Zeremonie (und die Anzahl der Räume!), aber auch nicht so kompliziert wie zum Beispiel »Om mani padme hum« oder »Lokah samastha sukhino bhavantu«, ein sogenanntes Friedensmantra. So oder so, es geht letztlich um die Symbolik!
Nach einer Stunde ist das Werk vollbracht, und ich fühle mich merklich befreiter. In der Tonschale befindet
sich nur noch ein kleines Häufchen Salbei-Asche, das mich allerdings ein bisschen in Verwirrung
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