Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
Vom Netzwerk:
waren menschenleer. Auf
dem kleinen Plateau über ihm, am Zusammenfluss der Flüsse, drängelten sich die
Pavillons um die steinerne Nepomukfigur. In wenigen Stunden würden hier
zahlreiche Besucher mit Bratwürsten und Bier in der Hand die
Modellschiffregatta verfolgen, aber jetzt war alles ruhig.
    Der Steg schwankte
und das Holz knarrte unter Kai Rokkes Füßen. Die rot-weißen Plastikbänder, als
vorübergehende Absperrungen zum Wasser gedacht, knatterten leise wie Segel. Für
einen Moment überkam ihn das Gefühl, auf einem richtigen Schiff zu stehen. Er
genoss es und schloss die Augen.
    »Enten geangelt,
schon am frühen Morgen?« Die Stimme kam von weit oben. Kai Rokke zuckte
zusammen und wandte den Kopf in Richtung des Brückengeländers über der Urft.
Niemand war zu sehen. Seine Handinnenflächen wurden feucht.
    »Da sollten Sie sich
aber nicht mit erwischen lassen!« Ein heiseres Lachen, gefolgt von einem
Hustenanfall.
    Kai Rokke legte den
Kopf in den Nacken und entdeckte den Mann an einem Fenster des Hotels neben dem
Fluss.
    »Die war schon
vorher Geschichte«, rief er, stieß den Kadaver mit der Schuhspitze an und
verzog das Gesicht. Der Kopf der Ente rutschte über den Rand des Stegs und hing
ins Wasser. Einzelne Federn bauschten sich und ließen es so aussehen, als ob
das Tier noch atmen würde.
    Rokke widmete sich
wieder der »Lydia«, richtete einige Segel und ließ das Boot behutsam zu Wasser.
    »Ach, Sie sind das,
Kapitän Hornblower«, hustete die Stimme wieder, und Kai Rokke beobachtete aus
den Augenwinkeln, wie der Mann sich weiter aus dem Fenster lehnte. »Tolles
Schiff. Alle Achtung, Skipper!«
    Er lächelte wider
Willen, blieb aber stumm und spürte, wie ihm der Schweiß unter den Achseln
ausbrach.
    »Gestern hat es wohl
nicht so geklappt, was?« Der Mann gab nicht auf. Jetzt erkannte Kai Rokke ihn.
Er hatte mit seiner Mannschaft den ersten Platz der Liga-Meisterschaft belegt,
und wenn er sich recht erinnerte, war er innerhalb seines Teams der Beste
gewesen.
    »Wir waren nicht so
gut, wie wir hätten sein können«, rief er nach oben, ohne den Mann anzusehen,
schaltete dann seine Fernsteuerung ein und ging in Gedanken den festgelegten
Parcours durch die Bojentore durch. Gestern hatte er zu viele Strafpunkte wegen
Berührens der rot-weißen Hindernisse einkassiert, heute musste es besser
werden.
    Die »Lydia« schob
sich in die Wellen. Er legte den Vorwärtsgang ein und horchte auf den hohen,
flirrenden Ton. Der Motor lief rund. Kein Stottern. Kein Ruckeln. Perfekt.
    Der Nebeldunst war
verschwunden.
    Am
gegenüberliegenden Ufer schälten sich zwei Enten aus den Schatten einer dichten
Hecke. Sie spreizten die Flügel, reckten die Hälse und watschelten behäbig ins
Wasser. Langsam näherten sie sich dem Steg. Im weiten Bogen schwammen sie um
ihn herum, paddelten gegen die Strömung und ließen sich dann zu der Stelle
treiben, an der der Kadaver lag. Ihre dunklen Augen fixierten ihn. Hatte das
tote Tier zu ihnen gehört? Die Enten verharrten einen Moment. Dann tauchten sie
ab und kamen einige Meter weiter in der Flussmitte wieder hoch. Jetzt erst fiel
Kai Rokke der Abstand auf, den sie die ganze Zeit über zwischen sich ließen.
Wie eine Lücke. Er schüttelte den Kopf und riss sich von dem Anblick los. So
ein Unsinn. Enten trauerten nicht. Für sie ging die Welt weiter. Einfach so.
    Er konzentrierte
sich wieder auf sein Schiff, testete dessen Reaktion auf die Strömungen und das
Verhalten in den Wellen, die an der Mündung entstanden.
    Ein Stück weiter
verschwand der Fluss hinter einer Biegung. Er wusste, dass dort das Wehr lag,
auch wenn er es jetzt nicht hören konnte. Er hatte es sich gestern angesehen
und kannte den Weg dorthin. Über die Olefbrücke, ein Stück durch die
Fußgängerzone und dann an der Wiese entlang bis zum Eingang des Kurparks. Das
Wehr war nicht groß und nicht gefährlich für die Modelle. Aber er musste
achtgeben, wenn er das hinterste Bojentor nehmen und das Boot wieder in seine
Richtung lenken würde.
    Die »Lydia« fuhr
eine weite Kurve, neigte sich zur Seite und kämpfte gegen den stärker werdenden
Sog des Wehrs an. Das Geräusch des Elektromotors wurde höher, je weiter er den
Hebel der Fernbedienung nach vorne kippte. Er reckte den Hals, balancierte bis
zur äußersten Kante des Stegs und stellte sich auf die Zehenspitzen, um sein
Boot nicht aus den Augen zu verlieren. Hatte er die Strömung doch unterschätzt?
    »Verdammte
Scheiße!«, knurrte er, als die

Weitere Kostenlose Bücher