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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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weißen Segel mit einem Ruck nach links aus seinem
Blickfeld verschwanden, der Motor hochdrehte und dann verstummte. Er drückte
den Starterknopf und schüttelte die Fernbedienung. Nichts geschah. Stille. Nur
unterbrochen vom vereinzelten Quaken der Enten, die ungerührt ihre Bahnen
schwammen.
    Noch einmal drückte
er den Startknopf und lauschte. Wieder nichts.
    Er legte den Kopf in
den Nacken und suchte den Mann am Fenster des Hotels. Vielleicht konnte er
etwas erkennen. Aber das Fenster war verschlossen und die Gardinen zugezogen.
Er drehte sich um, bückte sich nach der Transporttasche und öffnete den
Reißverschluss. Dann schüttelte er den Kopf und richtete sich wieder auf.
Bestimmt würde niemand an einem Sonntagmorgen um sechs eine fast leere
Reisetasche mit dem Werbeaufdruck eines Hämorrhoidenmittels stehlen wollen. Er
verschloss die Tasche wieder, stieg die Steintreppe zum Plateau hinauf und
wandte sich nach rechts. Die Kirchturmuhr schlug. Erst vier kurze, helle, dann
sechs lange, dunkle Schläge. Die Enten auf dem Fluss antworteten mit lautem
Geschnatter.
    So früh war niemand
in der Fußgängerzone unterwegs. Die Häuser lagen im Halbdunkel, und eine
einzelne Laterne verteilte ihr Licht über die Straße. Nach fünfzig Metern
öffnete sich rechts eine schmale Gasse. Kai Rokke fühlte sich eingekeilt
zwischen der Häuserwand und einer leeren Schaufensterfront. Am Ende der Gasse
war ein kleiner Park. Er ging jetzt schneller. Über die Wiese auf das Wehr zu.
Er sah sich um. Das Rauschen und Murmeln kam näher. Hinter einer Reihe von
Büschen und Sträuchern staute sich das Wasser, bevor es über eine Schwelle in
das tiefer gelegene Bachbett lief. Er versuchte, durch die Büsche zum Ufer zu
gelangen. Irgendwo dort musste die »Lydia« liegen. Vermutlich hatte sie sich im
Gestrüpp verheddert und hing mit zerfetzten Segeln fest. Er presste die Lippen
zusammen. Ob er noch einmal so ein Originaltuch bekommen könnte? Sicher nicht.
    Brombeerranken
piekten in seinen Mantel und zogen kleine Fäden aus dem Gewebe. Hier kam er
nicht durch. Aber er musste zum Wasser gelangen und die »Lydia« retten.
Vielleicht ein Stück weiter rechts? Er trat auf kleinere Äste, stampfte das
dichte Unterholz nieder, fand aber keinen Durchgang.
    »Scheiß Grünzeugs!«,
fluchte er und stolperte auf die Wiese zurück. Dann musste es eben anders
gehen. Nur wenige Meter weiter führte ein Metallsteg über die Schleuse. Er
fühlte die raue Oberfläche, als er sich über das Geländer beugte. Die »Lydia«
lag in drei Meter Entfernung längsseits zur Kante des Wehrs. Wasser schlug
übers Deck. Die Fregatte drohte zu kentern, stellte sich aber wie von Fäden
gehalten immer wieder auf. Er richtete die Fernbedienung aus, drückte den
Starterknopf und hörte ein hohes Flirren. Der Motor lief, aber die Schraube saß
vermutlich fest. Er hob einen Ast auf, stieg über die Absperrung auf den Gitterrostboden
des Schleusenstegs und hangelte nach dem Motorboot, während er sich weit über
das Geländer beugte. Der Ast war zu kurz. Kai Rokke richtete sich auf und
zuckte zusammen. Ein Dorn hatte sich in seine Hand gebohrt. Blut quoll aus der
kleinen Wunde. Er wischte es an seiner Hose ab und lehnte den Ast gegen das
Geländer. Auf der glatten Wasseroberfläche spiegelten sich die am Ufer
stehenden Büsche. Darunter erkannte er nur Schwärze. Vielleicht Algen? Oder
Blätter? Er zog seinen Mantel aus und kletterte wieder über die Absperrung.
    Am Ende des
Geländers fand er eine kleine Lücke im Gebüsch. Er balancierte den kurzen,
steilen Hang hinunter, die Arme weit von sich gestreckt, mit unsicherem Gang.
Als er über eine Wurzel im Boden stolperte, schrie er auf, strauchelte und
stürzte vornüber. Die Fernbedienung fiel ihm aus der Hand und verschwand im
Dickicht. Er riss die Hände nach vorn und fiel ins Wasser, zu seiner großen
Verwunderung nicht sehr tief. Etwas bewegte sich unter ihm, wich aus, und er
versank tiefer im Wasser. Prustend kam er hoch. Die Nässe in seiner Kleidung
machte den Stoff schwer. Mühsam richtete er sich auf. Die »Lydia« hatte sich
bewegt, trudelte in der Strömung und drohte das Wehr hinunterzustürzen. Kai
Rokke hechtete nach vorn und packte sein Schiff. Was darunter, dicht unter der
Oberfläche schwamm, erkannte er erst auf den zweiten Blick.
    ***
    Hermann lag mit
geschlossenen Augen auf meiner Brust und schnurrte.
    »Er wird sterben,
Ina.« Steffen saß neben mir auf dem Bettrand und streichelte den Kopf

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