Luftkurmord
ich mir auch noch nicht im Klaren
darüber, was mir denn nun gefallen würde, also tat ich das, was mir in dieser
Situation der Entscheidungsschwäche am sinnvollsten erschien. Nichts. Die
dunklen Ringe unter den verquollenen Augen trugen auch nicht zu einer
attraktiven Erscheinung bei. »Duschen könnte helfen«, murmelte ich meinem
Spiegelbild zu und verschwand Richtung Bad.
Das warme Wasser tat
gut. Es verdrängte die Müdigkeit und die traurigen Gedanken.
Durch das Rauschen
hörte ich die Türglocke dreimal hintereinander schellen. Ich fischte ein
Handtuch von der Stange, schlang es um mich und bürstete mir durch die Haare.
»Ina?« Es klopfte an
der Badezimmertür.
»Ich komme«, sagte
ich und öffnete im selben Moment die Tür. Neben Steffen stand eine junge Frau
in Uniform. »Morgen, Judith.« Ich drängte mich im engen Flur an den beiden
vorbei ins Schlafzimmer und zog mich an. »Du bist zu früh.«
»Sorry, aber wir
haben einen ersten Angriff hier im Ort.«
»Ihr habt was?«
Steffen runzelte die Stirn.
»Wo?«, fragte ich,
während ich mein Outfit mit Schuhen, Gürtel und Polizeimütze vervollständigte.
Ein kurzer Blick in den Spiegel zeigte mir eine fremde Frau. Ich hatte mich
noch nicht wieder an den Anblick der Uniform gewöhnt.
Schutzpolizei. Das
war es, was ich gewollt hatte. Schupo in der Eifel. Keine Mordkommission. Hier
ein paar Einbrecher, da ein paar Autounfälle. Die Kriminalstatistik für diesen
Landstrich las sich in meinen Augen wie ein Werbeprospekt für Erholungssuchende.
Dementsprechend lang waren auch die Wartelisten. Ich hatte einfach nur Glück
gehabt, dass es so schnell geklappt hatte mit der Versetzung. Dafür hatte ich
jetzt Judith Bleuler am Hals. Fünfundzwanzig. Jung. Schön. Begabt. Und
ehrgeizig. Ein einziges Klischee. Gerade fertig studiert, absolvierte sie
derzeit den praktischen Anteil ihrer Ausbildung mit einer Energie, die mir auf
die Nerven ging. Ich hätte sie eher als »übermotiviert« bezeichnet. Mit meiner
Versetzung war aus der Kriminalhauptkommissarin eine Polizeihauptkommissarin
geworden, und weil ich ausbilden durfte, hatte man sie mir einfach vor die Nase
gesetzt. Vermutlich mit dem Hintergedanken, ich würde in der Eifel sowieso eher
eine ruhige Kugel schieben und Gefahr laufen, mich zu langweilen.
Judith sah zu
Steffen, und ein Lächeln blitzte kurz in ihrem Gesicht auf. »Eine leblose
Person wurde gemeldet«, erklärte sie ihm, als ob sie eine Prüfungsfrage
beantworten müsste. »Der Rettungsdienst ist bereits unterwegs.« Dann wandte sie
sich wieder mir zu. »Die Dienststelle hat versucht, dich auf deinem Handy zu
erreichen. Die beiden anderen Dienstwagen sind über Land unterwegs und brauchen
ewig, bis sie hier sind.«
»Stummgeschaltet«,
murmelte ich und versuchte, mein schlechtes Gewissen damit zu beruhigen, dass
ich das Telefon bei Dienstantritt ja angeschaltet hätte.
»Also haben sie mich
angerufen«, erklärte Judith weiter. Bildete ich mir den Vorwurf in ihrer
Tonlage nur ein, oder fand sie es wirklich unverschämt von mir, in meiner
Freizeit nicht ununterbrochen verfügbar zu sein?
»Unsere
Fahrgemeinschaft ist anscheinend nicht unbemerkt geblieben.«
Judith reagierte
nicht auf meine Bemerkung, sondern fuhr unbeirrt fort: »Hinter der
Einkaufsstraße ist es, am oberen Anfang des Kurparks, hat die Leitstelle
gesagt.« Sie spitzte die Lippen und sah mich kritisch an. »Ich gehe davon aus,
dass du weißt, wo das ist.«
Ich erwiderte stumm
ihren Blick. Bei ihr hatte ich immer den Eindruck, dass sie mein
Erscheinungsbild missbilligte. Kein Wunder, präsentierte sie sich doch selbst
stets wie aus dem Ei gepellt. Perfekt gebügelter Kragen, kein Fussel, keine
auch noch so kleine Knitterfalte an der Jacke, die Schuhe immer glänzend. Ich
nickte.
»Vier Minuten von
hier aus. Wir sind am schnellsten vor Ort.«
Erstaunt sah sie
mich an. »Du willst direkt zum Einsatzort?« Sie schüttelte den Kopf. »Das geht
nicht. Unsere Waffen liegen im Waffenfach auf der Dienststelle.«
»Meine Waffe ist
hier.« Ich klopfte auf das Holster unter meiner Uniformjacke.
»Du hast sie mit
nach Hause genommen? Das ist gegen die Vorschrift!«
Ich seufzte.
»Natürlich hatte ich sie in Steffens Waffenschrank eingeschlossen, nicht wahr?«
Ich starrte Steffen eindringlich an. Wenn er jetzt verriet, dass ich meine
Waffe als Lesezeichen zwischen die Buchseiten klemmte und auf dem Nachtisch
lagerte, wäre ich in Judiths Augen endgültig unten durch. Er hatte als
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