Luises Schweigen
angelehnt, und er ging hinein. In der Küche stand Dr. Franz Gutleben, der über siebzig Jahre alte Landarzt, und fühlte Katrin Schulze Holtrup den Puls. Als sie Daut sah, zog sie die Hand überrascht zurück.
»Axel, du hier?«
»Scheint so, als wundern sich alle, mich zu sehen.«
Er reichte Heinrich Schulze Holtrups Tochter die Hand. Sie war dünn geworden, ihr Blick hatte aber immer noch das geheimnisvolle Leuchten, mit dem sie in der Schule alle Jungs um den Finger gewickelt hatte.
»Tut mir leid, was mit deinem Vater passiert ist.«
Katrin schloss die Augen und nickte kaum merklich.
»Guten Tag, Axel«, begrüßte ihn der Doktor, der jeden in der Stadt und Umgebung duzte, weil er fast allen auf die Welt geholfen hatte. »Schöne Schweinerei, das alles hier.« Dabei vollführte er mit dem Arm eine halbkreisförmige Bewegung.
Katrin sprang vom Stuhl auf, hielt sich die Hand vor den Mund und rannte aus der Küche.
»Das war alles zu viel für die Gute. Sie hat ihren Vater heute Morgen gefunden, und das war weiß Gott kein schöner Anblick.«
Er ging zum Küchenschrank, nahm eine Flasche Korn und zwei Gläser heraus, als wäre er hier zu Hause, und schenkte ein.
»Prost, Axel. Auf den alten Heinrich Schulze Holtrup, war zwar ein Griesgram, hat aber seine Rechnungen immer prompt bezahlt.«
Sie tranken den Schnaps in einem Zug. Der Doktor hielt die Flasche hoch.
»Noch einen?«
»Auf einem Bein kann man ja nicht stehen«, antwortete Axel und reichte ihm das Glas.
Als sie gerade den zweiten Korn tranken, klopfte Siekmann an die Tür.
»Sieh mal einer an, hier ist man schon beim Leichentrunk.«
Den angebotenen Schnaps lehnte er ab. »Bin schließlich im Dienst«, sagte er pikiert.
Daut deutete auf zwei umgeworfene Stühle und zerbrochene Gläser auf dem Küchentisch.
»Sieht nach einem üblen Streit aus.«
»Kann man wohl sagen«, antwortete der Doktor.
»Haben Sie die Leiche gesehen?«
»Was heißt hier gesehen«, mischte sich Siekmann ein. »Er hat sie untersucht. Oder glaubst du, wir holen bei so einem klaren Sachverhalt den Rechtsmediziner aus Münster? Der hat Besseres zu tun.«
Der Arzt stellte die Flasche zurück in den Schrank.
»Der Kollege hätte auch nichts anderes festgestellt als ich alter Landdoktor. Schulze Holtrup wurde von hinten mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen.«
Er blickte sich gedankenverloren in der Küche um, deutete auf eine gusseiserne Pfanne und sagte, als wäre ihm der Gedanke gerade erst gekommen:
»Vielleicht hat man ihm das Ding über den Schädel gezogen. Er war auf jeden Fall sofort tot. Vorher allerdings hat er sich gewehrt.«
Daut hob einen der umgefallenen Stühle vom Boden auf und setzte sich.
»Sie meinen, es gab nicht nur einen Streit, sondern eine handfeste Auseinandersetzung?«
»Auf jeden Fall hatte Heinrich tiefe Kratzspuren an den Armen.«
»Die kann er sich doch auch bei der Arbeit geholt haben.«
Siekmann lachte auf.
»Der alte Schulze Holtrup und Arbeiten! Der saß den ganzen Tag in der Küche, hat gesoffen und die Fremdarbeiter schikaniert. Am schlimmsten hat er es mit dem alten Knecht, dem Karl, getrieben. Und mit Katrin, die hatte auch nichts zu lachen.«
»Redet nicht so über meinen Vater.«
Katrin stand in der Tür, immer noch kreidebleich.
»Stimmt doch«, brummte Siekmann leise und sagte dann lauter:
»Ich müsste mir mal das Büro deines Vaters ansehen. Vielleicht hat der Franzose ja etwas mitgehen lassen.«
Als sich auch der Doktor verabschiedet hatte, hob Daut den zweiten Stuhl auf und bedeutete Katrin, sie solle sich setzen.
»Hast du den Streit zwischen deinem Vater und diesem Franzosen mitbekommen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es gab oft Streit, Siekmann hat schon recht, Vater war ein Ekel.«
»Du glaubst also auch, dass der Serge ...«
»Wer soll es denn sonst gewesen sein?«, rief Katrin, sprang vom Stuhl auf und rannte erneut aus der Küche.
Der Doktor stand vor seinem Auto und rauchte.
»Meine Alte hat mir die Zigarren verboten, also rauche ich nicht im Wagen. Sie hat eine feine Nase.«
»Die braucht sie nicht bei dem Kraut, das stinkt noch meilenweit gegen den Wind.«
Daut nestelte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an.
Der Doktor zeigte mit dem Stumpen Richtung Haus.
»Geht es Katrin besser?«
»Sie regt sich immer noch auf, und das bekommt ihr nicht.«
Der Doktor öffnete die Wagentür und setzte sich hinein.
»Irgendetwas stimmt nicht mit ihr, Axel. Ich wollte sie vorhin
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