Lukianenko Sergej
Zauberei sein«, sagte Annette, die aus der Tasche auftauchte.
»Wenn ein Zauberer Kupferlinge zaubert, ist das kein
geringeres Verbrechen als Hochverrat!«
»Ich werde es nicht mehr machen«, versprach Trix
wenig überzeugend. »Komm, Klaro!«
Fünf Minuten später (Trix achtete darauf, weder die
belebtesten noch die dunkelsten Gassen zu nehmen)
kamen sie zur ersten Schenke. Die wirkte jedoch völlig
heruntergekommen, aus dem Innern drangen Schreie und
Geräusche einer Prügelei, vor dem Eingang drückten sich
finstere Gestalten herum. Trix packte Hallenberrys Hand
fester und ging weiter, von missgünstigen Blicken verfolgt.
Die nächste Schenke lag in einer breiteren und freundlicheren Straße. Hier versteckten sich die Menschen nicht
im Schatten. Alles sah recht ungefährlich aus – wenn da
nicht die grell bemalten Frauen gewesen wären, die ganze
Herden bildeten und sich mit kreischenden Stimmen unterhielten. Sie grapschten sofort nach Trix und flüsterten
ihm mit heißem Atem etwas ins Ohr. Annette in seiner
Tasche wurde unruhig – und Trix begriff, dass er den Ort
besser verließ, bevor die Fee die Geduld verlor.
Ihr Weg brachte sie endlich in eine breite Straße, die
steingepflastert und fast ohne Pfützen war. Überall
brannten Laternen, flanierten ordentlich gekleidete Menschen. Die Schenke, auf die Trix’ Blick fiel, schien sogar
fast zu gut: Vor dem Eingang wartete eine alte, aber saubere Kutsche auf jemanden, ein buntes Schild verkündete Zu den drei lustigen Raben. Da es mit einer goldenen
Krone verziert war, mussten hier schon Menschen edlen
Bluts übernachtet haben. Da Trix jedoch keine Kraft
mehr hatte, weiter durch den Regen zu ziehen, strich er
sich die Haare glatt, setzte eine ernste Miene auf und
betrat die Schenke.
Die Unterkunft rechtfertigte den ersten Eindruck vollauf. Es gab karierte Tischdecken, etliche Besucher aßen
mit Gabeln, und alle ließen sich nur zu gepflegten Flüchen
hinreißen, noch dazu in gedämpftem Ton.
»Was wünscht …« An Trix trat ein Kellner heran. Das
war eine seltene Tätigkeit für einen Mann, aber angeblich
kam es in der Hauptstadt öfter vor. Er sah Trix aufmerksam
an. Von seinen Lippen verschwand erst das Wort »Knabe«,
dann der »Junge« und schließlich auch der »Jüngling«,
um einem kühnen »der junge Herr?« Platz zu machen.
»Ein Zimmer«, sagte Trix. »Für meinen Bruder und
mich.« Er zog Hallenberry an sich, der sich verängstigt
hinter ihm versteckte. »Wir sind mit unserem Vater in die
Hauptstadt gekommen. Er ist ein Fischhändler aus dem
Baronat Galans. Aber er ist gleich weggegangen …« An
dieser Stelle erlaubte Trix es sich, kurz zu zögern und
einen Hauch von Verachtung in seine Stimme zu legen.
»… geschäftlich. Mein Bruder und ich sollen uns hier ein
Zimmer nehmen.«
»Verstehe«, sagte der Kellner. »Ja, ja, die Hauptstadt
bietet … allerlei Geschäftsmöglichkeiten. Für einen ehrenwerten Händler. Geht zu Loya!«
Loya war eine in die Jahre gekommene Frau, die hinter dem Tresen Bier ausschenkte. Trix wiederholte seine
Geschichte, die beim zweiten Mal schon flüssiger klang,
und in die Augen der Frau schlich sich sogar ein Hauch
von Mitleid: »Hast du denn Geld, Händlerssohn? Wir
sind ein gutes Haus.«
»Ja«, sagte Trix. »Wie viel kostet ein Zimmer?«
»Zehn Kupferlinge pro Tag, im Voraus.«
Trix holte die schweren Kupferlinge aus seiner Tasche
und zählte zehn Münzen ab. »Ich zahle drei Tage im
Voraus. Geht das?«
»Braucht dein Vater so lange Zeit für seine Geschäfte?«,
fragte die Frau amüsiert.
»Drei Tage mindestens«, erwiderte Trix in vertraulichem Flüsterton.
»Für das Geld kriegt ihr auch was zu essen«, entschied
Loya großherzig. »Frühstück und Abendbrot und mittags
Tee mit Küchlein.«
Die Münzen wanderten vom Tresen in Loyas Hände
und von dort zu einem finsteren Mann, der die Frau hinterm Tresen ablöste. Loya führte Trix und Hallenberry
eine knarzende Treppe hinauf in den zweiten Stock. Bei
den vielen Türen, die es in dem langen Gang gab, konnte
an der Größe der Zimmer in den Drei lustigen Raben kein Zweifel aufkommen. Immerhin war es hier hell (es
brannten zwei Kerzen), sauber und sogar ruhig, nur hinter einer Tür erklang ein gewaltiges Schnarchen.
»Der Ritter Agramor, er schläft sich vor dem Turnier
aus«, erklärte Loya. »Zu uns kommen die unterschiedlichsten Gäste, manchmal sogar Barone. Ach ja, Jungs,
mein Vater hat das auch immer gemocht, in die
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