Lukianenko Sergej
Hauptstadt zu kommen und dann drei Tage zu verschwinden,
um seinen Geschäften nachzugehen … danach hat er von
meiner Mutter immer eins mit der Bratpfanne übergezogen bekommen … Hier ist euer Zimmer.« Sie gab Trix
den Schlüssel und warnte ihn gleich: »Wenn du den verlierst, musst du das Schloss auswechseln. Das kostet zehn
Kupferlinge. Also pass auf ihn auf!«
»Das werde ich«, versprach Trix.
»Wenn ihr Hunger habt, kommt runter, dann mache
ich euch was«, sagte sie. Dann drückte sie Trix die Kerze
in die Hand, zerzauste Hallenberry mit mütterlicher Sorge
das Haar (der machte sofort ein niedliches Gesicht) und
verschwand.
Trix öffnete die Tür, er und Hallenberry huschten ins
Zimmer und schlossen hinter sich ab, erst mit dem
Schlüssel, dann legten sie auch noch die Riegel vor, als
wollten sie sich vor der Hauptstadt verbergen, die sie so
unfreundlich empfangen hatte. Da schlug Hallenberry
plötzlich die Hände vors Gesicht und fing an zu heulen.
»Was ist denn?«, fragte Trix.
»Der Zauberer tut mir so leid! Sauerampfer!«
»Mir auch«, sagte Trix, während er sich im Zimmer
umsah. Es war klein, hatte aber ein Fenster, das zur Straße
hinausging, zwei Betten, saubere Nachttöpfe und einen
kleinen Tisch, auf dem eine Tonvase mit kleinen gelben
Blumen stand. Annette kroch aus Trix’ Tasche, sah Hallenberry voller Mitgefühl an, schnupperte und flatterte auf
die Blumen. »Wenigstens Abendessen«, murmelte sie,
als sie den Blütenstaub schlürfte.
»Man wird sie töten«, sagte Hallenberry. »Erst hängen, dann köpfen und in kochendes Öl schmeißen!«
»Warum so kompliziert?«, fragte Trix erstaunt.
Während Hallenberry nachdachte, hörte er sogar auf
zu weinen. »Zur Abschreckung«, behauptete er schließlich mit fester Stimme. »Klaro. Um andere Feinde abzuschrecken!«
Trix seufzte, zog Ians Jacke aus, hängte sie an einen
Nagel neben der Tür und sagte: »Das ist doch dummes
Zeug! Sauerampfer ist ein großer Magier, er wird einen
Ausweg finden. Aber Ian … Damit hätte ich nicht gerechnet!«
»Womit?«, fragte Annette.
»Lässt sich für mich einkerkern!«, rief Trix. »Was für
ein Edelmut bei einem Jüngling niederen Standes! Genauso verhält sich ein treuer Knappe! Wie … wie Kimian,
der sich für Atreju ausgegeben hat!«
»Schöner Edelmut!«, höhnte Annette und leuchtete vor
Entrüstung auf. »Der Junge träumt davon, ein echter CoHerzog zu werden. Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Wenn auch im Gefängnis. Wenn auch nur, bevor
ihm der Kopf abgehackt und er ins Öl geschmissen wird.«
»Was soll der Unsinn?«, fragte Trix verärgert. »Was
redest du da – er will Co-Herzog sein?«
Hallenberry und Annette stimmten ein fröhliches Gelächter an.
»Klaro, glaubst du das auch?«, fragte Trix.
»Natürlich!«, antwortete der Junge. »Ian … ist so. Er
liebt dich, klaro. Und er hat immer gesagt, dass er dir
dankbar ist. Aber noch lieber würde er selbst ein Aristokrat
sein. Und jetzt kann er gleich beides: seine Dankbarkeit
zeigen und sich seinen Traum erfüllen!«
Trix legte sich aufs Bett (die Matratze war hart und
schlecht gestopft, aber nach dem Gerüttel in der Kutsche
störte ihn das nicht). »Soll das heißen«, murmelte er,
»dass eine gute Tat nicht immer auf edle Motive zurückgehen muss? Sondern auch auf niedere …«
»Klaro«, sagte Hallenberry. »Also, ich habe mal gelogen, dass ich alle kandierten Früchte aufgefuttert habe,
obwohl das meine Schwester gewesen war. Klaro, ich
wurde ausgepeitscht! Aber dafür hat mir Tiana einen
ganzen Monat lang Süßigkeiten gebracht … klaro … danach hat sie aber wieder damit aufgehört.«
»Wahrscheinlich geht auch eine schlechte Tat nicht
immer auf niedere Gründe zurück, sondern manchmal
auch auf edle«, dachte Trix weiter laut nach.
»Klaro«, sagte Hallenberry wieder. »Tiana liebt Süßigkeiten, trotzdem habe ich ihr alles weggegessen. Und
warum? Nur weil sie sich beklagt hat, dass sie zu dick
wird!«
»Wenn du dich so gut auskennst«, sagte Trix, »dann
kannst du mir vielleicht sagen, warum Sauerampfer und
Ian verhaftet wurden … ich meine, Sauerampfer und
ich.«
Aber auf diese Frage wussten weder der für sein Alter
so kluge Hallenberry noch die Fee Annette eine Antwort.
1. Kapitel
I
n der Nacht träumte Trix nur Unsinn. Mal von dem
gemeinen Vitamanten Gavar, der über den Grund des
Meeres lief, mit seinem rostigen Schwert Haie vertrieb
und Trix mit der Faust drohte. Mal vom guten Zauberer
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