Lukianenko Sergej
Volksmund hieß es
Staubiges Tor, denn im Sommer machte der Süd-WestWind die Stadtmauern häufig mit den Ausläufern der
Wüstenstürme bekannt, jener letzten Rache Samarschans
für die Wegnahme einiger Gebiete).
Vor dem Haupttor hatte sich eine lange Schlange von
Karren und Kutschen gebildet. Fußgänger gelangten
durch ein Seitentor, wo sie kurz, aber eindringlich von
der königlichen Wache befragt wurden, in die Stadt. Die
Kutschen musterten die Posten dagegen aufmerksam,
auch die Fracht auf den Karren inspizierten sie, sodass
die Schlange nur langsam schmolz.
»Suchen sie Räuber?«, fragte Trix mit einem Blick auf
die Wache.
»Soweit ich weiß, ist die Kontrolle aller Besucher eine
übliche Praxis in der Hauptstadt«, antwortete Sauerampfer. Der Zauberer trug seinen Paradeumhang, kämmte
sich den Bart, polierte mit einem wildledernen Tuch die
Spitze seines Stabs – kurz und gut, er putzte sich heraus,
als wolle er sofort bei König Marcel vorsprechen. Obendrein kaute er Zimtstückchen, verzog das Gesicht und
spuckte sie zum Fenster hinaus. Das Gewürz sollte den
Geruch von ihrem Mittagessen, Schweinefleisch mit
Knoblauch sowie dunkles Bier, vertreiben. Man hätte
meinen können, er wolle nicht nur unverzüglich zum
König, sondern diesen auch nach Samarschaner Brauch
zur Begrüßung küssen.
Ohne ein Wort zu sagen, brachte auch Trix sich in
Ordnung: Er schnäuzte sich, pulte mit dem Fingernagel
einen Eigelbfleck vom Ärmel, nahm sich eine Zimtstange
und fing ebenfalls an zu kauen, obwohl es nicht
schmeckte.
Schließlich war die Reihe an ihnen. Der Offizier der
Wache, ein kräftiger Mann mit Schnauzbart und Narbe
im Gesicht, in einer schweren Stahlrüstung und mit einem Schwert am Gürtel, näherte sich der Kutsche und
betrachtete interessiert das Wappen. »Die Kutsche des
Barons Ismund«, sagte er laut. »So, so. Wer kommt in
die Hauptstadt?«
»Der große Zauberer Radion Sauerampfer mit seinem
Schüler«, antwortete Sauerampfer hochnäsig zum Fenster
hinaus. »In einer dringenden Angelegenheit.«
Der Name des Zauberers machte in der Tat Eindruck –
wenn auch einen völlig anderen als erwartet. Der Offizier
hob den Arm und sofort eilte ein Dutzend Wachposten
herbei. Ohne weiter auf die anderen Besucher zu achten,
umzingelten sie die Kutsche und drängten die fünf Gardisten Ismunds ab.
»Radion Sauerampfer, befindet sich in Eurer Begleitung Euer Schüler Trix Solier?«, fragte der Offizier.
Aus irgendeinem Grund freute sich Trix überhaupt
nicht, dass der Offizier seinen Namen kannte.
»Ja«, antwortete Sauerampfer, nun ohne jede Herablassung. »Was soll das denn bedeut …«
»Im Namen des Königs Marcel!«, brüllte der Offizier.
»Ihr, der Zauberer Radion Sauerampfer, und Ihr, der
Zauberlehrling Trix Solier, seid auf Befehl des Königs
verhaftet! Ihr habt zu schweigen, ohne Aufforderung
dürft Ihr kein Wort sagen! Eure magischen Bücher dürft
Ihr nicht anfassen! Rührt Euch nicht von der Stelle!«
Mehrere Soldaten richteten ihre Hellebarden auf die
Kutsche. Der Kutscher auf dem Bock fluchte genüsslich,
denn für sich sah er keine Gefahr – dafür aber umso mehr
Gesprächsstoff! Ismunds Gardisten schienen völlig verunsichert, von ihnen war keine Hilfe zu erwarten.
»Die Einheit für Sondereinsätze soll herkommen!«,
befahl der Offizier. »Rasch!«
Im Inneren der Kutsche fasste Trix sich panisch an die
Brust und tastete nach dem Beutel mit dem Buch. Annette
witterte Gefahr und schlüpfte in seine Tasche. Hallenberry
steckte den Finger in den Mund.
Und Ian …
Ian saß kurz mit offenem Mund da, dann packte er
Trix beim Ärmel. »Zieh den Umhang aus!«, flüsterte er.
»Schnell!«
»Was hast du vor?«, fragte Trix.
»Du Blödmann! Die kerkern dich ein!«
Daraufhin zog Trix wortlos den Umhang aus und Ians
Jacke an.
»Den Stock und das Buch!«
»Du kannst den Stock haben«, sagte Trix. »Mehr
nicht!«
Sauerampfer hörte anscheinend das Gepolter und Geflüster in seinem Rücken, blieb jedoch reglos wie ein
steinernes Standbild sitzen.
Trix versteckte das Eipott unter der Jacke, knöpfte sie
zu und schielte zu Domac hinüber, der durch die offene
Tür das hektische Umkleiden beobachtete. »Ich bin Ian,
der Diener!«, erklärte Trix. »Kapiert?«
»Ich kenne Euch doch überhaupt nicht!«, entgegnete
Domac und schloss die Tür. »Und das Ganze geht mich
auch gar nichts an!«
Während der Offizier auf die Sondereinheit wartete,
wurde er sichtlich nervös. Dann waren
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