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Lullaby (DE)

Lullaby (DE)

Titel: Lullaby (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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weitere solche Engel. Die vier Krankenschwestern arbeiteten alle im Nachtdienst. Schon hatte das Krankenhaus den Spitznamen Todespavillon.
    Dem Leiden ein Ende zu machen, reichte den vier Frauen nicht mehr; stattdessen verabreichten sie ihre Mundpflege Patienten, die schnarchten oder Bettnässer waren, die ihre Medizin nicht nehmen wollten oder nachts nach einer Schwester klingelten. Wurde ein Patient in irgendeiner Weise lästig, musste er in der folgenden Nacht sterben. Sobald sich ein Patient über irgendetwas beklagte, sprach Waltraud Wagner den Satz: »Der kriegt eine Fahrkarte zu Gott.« Und gluck, gluck, gluck.
    »Die mir auf die Nerven gegangen sind«, erklärte sie den Behörden, »wurden direkt in ein freies Bett beim lieben Gott verlegt.«
    1989 wurde Wagner von einer alten Frau als gewöhnliches Flittchen beschimpft und erhielt die Mundpflege. Anschließend tranken die Engel in einer Kneipe und machten sich kichernd über die Todeszuckungen der alten Frau lustig. Ein Arzt, der in der Nähe saß, bekam das mit.
    Inzwischen waren nach Schätzungen der Wiener Gesundheitsbehörden fast dreihundert Menschen mit dieser Pflege behandelt worden. Wagner erhielt lebenslänglich. Die anderen Engel kamen mit geringeren Strafen davon.
    »Wir hatten Leben und Tod dieser alten Schachteln in der Hand«, sagte Wagner bei ihrem Prozess. »Und ihre Fahrkarte zu Gott war doch sowieso längst überfällig.«
    Die Geschichte, die Helen Hoover Boyle mir erzählte, ist wahr.
    Macht verdirbt. Und absolute Macht verdirbt absolut.
    Also entspannen Sie sich, sagte Helen Boyle, und genießen Sie die Fahrt.
    Sie sagte: »Auch absolute Verdorbenheit hat ihre angenehmen Seiten.«
    Sie sagte, ich solle an all die Leute denken, die man am liebsten aus seinem Leben verschwinden lassen wolle. An all die ungelösten Probleme denken, die man damit lösen könne. Sich rächen. Überlegen Sie mal, wie einfach das wäre.
    Und immer noch hörte ich im Kopf Nashs Stimme. Nash, der schon beim Gedanken an Frauen zu sabbern anfängt, an irgendwelche Frauen, Hauptsache, sie waren wenigstens für ein paar Stunden willig und schön, ehe sie kalt wurden und der Verfall begann.
    »Erklären Sie mir«, sagte er, »wie sich das von den meisten anderen Liebesbeziehungen unterscheiden würde.«
    Man könnte sich jede und jeden zu seinem nächsten SexZombie machen.
    Bloß weil diese österreichische Krankenschwester und Helen Boyle und John Nash sich nicht beherrschen können, muss ja nicht auch ich zu einem rücksichtslosen Lustmörder werden.
    Henderson tritt in die Tür des Archivs und brüllt: »Streator! Haben Sie Ihren Piepser ausgestellt? Eben kam ein Anruf: Schon wieder ein totes Baby.«
    Der Redakteur ist tot, lang lebe der Redakteur. Der neue Boss ist der alte Boss.
    Und natürlich könnte es ohne gewisse Leute auf der Welt besser aussehen. Ja, die Welt könnte einfach vollkommen sein, wenn man hier und da ein bisschen nachhelfen würde. Ein bisschen Hausputz. Ein bisschen unnatürliche Selektion.
    Aber, nein, ich werde von dem Merzlied nie wieder Gebrauch machen.
    Nie mehr.
    Beziehungsweise, selbst wenn, dann jedenfalls nicht aus Rache.
    Und nicht zu meinem Vorteil.
    Und gewiss nicht zur sexuellen Befriedigung.
    Nein, nur für etwas Gutes.
    Und Henderson schreit: »Streator! Haben Sie endlich wegen dieser Erste-Klasse-Filzläuse telefoniert? Und was ist mit den Pilzvergiftungen in diesem Fitnessclub? Wenn Sie den Typen von Treeline nicht auf den Sack gehen, kriegen Sie nie was raus.«
    Ich kehre ihm den Rücken zu und eile davon, und während ich meinen Mantel schnappe und aus dem Haus haste, will mir das Merzlied einfach nicht aus dem Kopf gehen.
    Aber, nein, ich werde nie mehr davon Gebrauch machen. Aus. Schluss. Niemals.

11
     
    Lärmsüchtige. Phobiker der Stille.
    Durch die Decke dringt das ewige Stampfen und Stampfen einer Trommel. Durch die Wände hörst du das Lachen und Klatschen toter Leute.
    Sogar im Bad, sogar unter der Dusche hörst du, lauter als das Zischen des Duschkopfs, lauter als das Platschen des Wassers in die Wanne und lauter als das Prasseln am Duschvorhang das Gequassel aus dem Radio. Nicht dass du allen Menschen den Tod wünschst, aber verlockend wäre es schon, das Merzlied auf die Welt loszulassen. Bloß um die Panik zu genießen. Wenn erst einmal jegliche lauten Geräusche verboten wären, alle Geräusche, in denen sich ein Fluch verbergen könnte, jede Musik und jeder Krach, worin sich ein tödliches Gedicht verstecken

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