Lulu
kommen.
Der normale Leser
(gleichfalls die Mitte nehmend)
Dann pflanz’ ich breit mich in die erste Reihe
Mit meinem Freibillett und schnarche laut.
Das ahnt kein Mensch, wie ich mich dran erfreue,
Wenn so wer Schnitzler oder Shakespeare kaut.
Ist’s nicht genug, dass christlich ich verzeihe,
Und niemand merkt, wie sehr mir davor graut?
CHORUS
Der hohe Staatsanwalt
(hält den Arm um den normalen Leser geschlungen)
So pflegen wir gemeinsam das Gehege
Dramatischer Dichtung mit verteilter Kraft.
Der normale Leser
Wenn ich auch meinen Wanst am liebsten pflege,
Mir fehlt doch nie die große Leidenschaft.
Der rührige Verleger
(hält den Arm um den verschämten Autor geschlungen)
Ich freue mich, wenn sich die Menschen freuen,
Am ehrlichsten am Funkelnagelneuen.
Der verschämte Autor
Wenn’s not tut, geb’ ich meine Freiheit hin
Für dich, o Muse, meine Herrscherin.
Erster Aufzug
Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond aus geschnitztem Eichenholz. Die Wände sind bis zur halben Höhe mit dunklen Holzskulpturen bekleidet; darüber an beiden Seiten verblasste Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der links eine monumentale Treppe bis zur halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie befindet sich die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der rechten Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin, weiter vorn ein Balkonfenster mit geschlossenen schweren Gardinen; an der linken Seitenwand vor dem Treppenfuß eine geschlossene Portiere. Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers steht eine leere dekorative Staffelei; links vorn befindet sich eine breite Ottomane, in der Mitte des Saales ein vierkantiger Tisch, um den drei hochlehnige Polstersessel stehen. Links vorn ein kleiner Serviertisch, daneben ein Lehnsessel. Der Saal ist durch eine auf dem Mitteltisch stehende, tief verschleierte Petroleumlampe matt erhellt. ALWA SCHÖN geht vor der Eingangstür auf und nieder. Auf der Ottomane sitzt RODRIGO , als Bedienter gekleidet. Rechts in dem Lehnsessel, in schwarzem, enganliegenden Kleid, tief in Kissen gebettet, einen Plaid über den Knien, sitzt die GRÄFIN GESCHWITZ . Neben ihr auf dem Tisch steht eine Kaffeemaschine und eine Tasse mit schwarzem Kaffee.
Rechts und links vom Zuschauer aus.
RODRIGO
Er lässt auf sich warten wie ein Konzertmeister!
DIE GESCHWITZ
Ich beschwöre Sie, sprechen Sie nicht!
RODRIGO
Es soll einer die Klappe halten, wenn er den Kopf so voll Gedanken hat wie ich! – Es will mir ganz und gar nicht einleuchten, dass sie sich dabei sogar noch zu ihrem Vorteil verändert haben soll!
DIE GESCHWITZ
Sie ist herrlicher anzuschauen, als ich sie je gekannt habe!
RODRIGO
Behüte mich der Himmel davor, dass ich mein Lebensglück auf Ihre Geschmacksrichtungen gründe! Wenn ihr die Krankheit ebensogut angeschlagen hat wie Ihnen, dann bin ich pleite! Sie verlassen die Isolierbaracke wie eine verunglückte Kautschukdame, die sich aufs Kunsthungern geworfen hat. Sie können sich kaum mehr die Nase schneuzen. Erst brauchen Sie eine Viertelstunde, um Ihre Finger zu sortieren, und dann bedarf es der größten Vorsicht, damit Sie die Spitze nicht abbrechen.
DIE GESCHWITZ
Was uns unter die Erde bringt, gibt ihr Kraft und Gesundheit wieder.
RODRIGO
Das ist alles schön und gut. Ich werde aber doch vermutlich heute Abend noch nicht mitfahren.
DIE GESCHWITZ
Sie wollen Ihre Braut am Ende gar allein reisen lassen?
RODRIGO
Erstens fährt doch der Alte mit, um sie im Ernstfalle zu verteidigen. Meine Begleitung kann sie nur verdächtigen. Und zweitens muss ich hier noch abwarten, bis meine Kostüme fertig sind. – Ich komme immer noch früh genug über die Grenze. Hoffentlich legt sie sich derweil auch noch etwas Embonpoint zu. Dann wird geheiratet, vorausgesetzt, dass ich sie vor einem anständigen Publikum produzieren kann. Ich liebe an einer Frau das Praktische; welche Theorien sich die Weiber machen, ist mir vollkommen egal. Ihnen nicht auch, Herr Doktor?
ALWA
Ich habe nicht gehört, was Sie sagten.
RODRIGO
Ich hätte meine Person gar nicht in das Komplott verwickelt, wenn sie mir nicht vor ihrer Verurteilung schon immer die Plauze gekitzelt hätte. Wenn sie sich im Ausland nur nicht gleich wieder zu viel Bewegung macht! Am liebsten nähme ich sie auf ein halbes Jahr mit nach London und ließe sie Plumkakes futtern. In London geht man schon allein durch die Seeluft
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