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Lulu

Lulu

Titel: Lulu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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mit der Rückseite vors Gesicht. Das Blech schmeichelt nicht, aber ich hatte doch meine Freude. – Hol’ das Bild aus deinem Zimmer. Soll ich mitkommen?
    ALWA
    Um Gottes willen, du musst dich schonen!
    LULU
    Ich habe mich jetzt lang genug geschont.
    ALWA
    (geht durch die Türe links ab, um das Bild zu holen).
    LULU (allein)
    Er ist herzleidend; aber sich vierzehn Monate mit der Einbildung plagen müssen … Er küsst mit Todesbangen und seine beiden Knie schlottern, wie bei einem ausgefrorenen Handwerksburschen. In Gottes Namen! – – Hätte ich in diesem Zimmer nur seinen Vater nicht in den Rücken geschossen!
    ALWA (kommt zurück mit Lulus Bild im Pierrotkostüm)
    Es ist ganz verstaubt. Ich hatte es mit der Vorderseite gegen den Kamin gelehnt.
    LULU
    Du hast es nicht angesehen, während ich fort war?
    ALWA
    Ich hatte infolge des Verkaufs unserer Zeitung so viel geschäftliche Dinge zu erledigen. Die Geschwitz würde es gerne bei sich in ihrer Wohnung aufgehängt haben, aber sie hatte Haussuchungen zu gewärtigen. (Er hebt das Bild auf die Staffelei.)
    LULU (froh)
    Nun lernt das arme Ungeheuer das Freudenleben im Hotel »Ochsenbutter« auch aus eigner Erfahrung kennen.
    ALWA
    Ich begreife noch jetzt nicht, wie die Ereignisse eigentlich zusammenhängen.
    LULU
    Oh, die Geschwitz hat das sehr klug eingerichtet; ich bewundere ihren Erfindungsgeist. In Hamburg muss diesen Sommer doch die Cholera so furchtbar gewütet haben.
Darauf
gründete sie ihren Plan zu meiner Befreiung. Sie nahm hier einen Krankenpflegerinnenkursus, und als sie die nötigen Zeugnisse hatte, reiste sie damit nach Hamburg und pflegte die Cholerakranken. Bei der ersten Gelegenheit, die sich bot, zog sie dann die Unterkleider an, in denen eben eine Kranke gestorben war und die eigentlich hätten verbrannt werden müssen. Am selben Morgen reiste sie noch hierher und kam zu mir ins Gefängnis. In meiner Zelle, als die Aufseherin draußen war, vertauschten wir beide dann rasch unsere Unterkleider.
    ALWA
    Das also war die Ursache, weshalb die Geschwitz und du am gleichen Tage an der Cholera erkrankten?!
    LULU
    Gewiss! Das war der Grund. – Die Geschwitz wurde aus ihrer Wohnung natürlich sofort in die Isolierbaracke beim Krankenhaus gebracht. Aber mit mir wusste man auch nirgends anders hin. So lagen wir in einem Zimmer in der Isolierbaracke hinter dem Krankenhaus, und die Geschwitz bot vom ersten Tag an alle ihre Künste auf, um unsere Gesichter einander so ähnlich wie möglich zu machen. Vorgestern wurde sie als geheilt entlassen. Eben kam sie nun wieder und sagte, sie habe ihre Uhr vergessen. Ich zog ihre Kleider an, sie schlüpfte in meinen Gefängniskittel, und dann ging ich fort. (Vergnügt.) Jetzt liegt sie dort drüben als die Mörderin des Dr. Schön.
    ALWA
    Mit dem Bilde kannst du es, soweit es die äußere Erscheinung betrifft, immer noch aufnehmen.
    LULU
    Im Gesicht bin ich etwas schmal, aber sonst habe ich nichts verloren. Man wird nur unglaublich nervös im Gefängnis.
    ALWA
    Du sahst schrecklich elend aus, als du hereinkamst.
    LULU
    Das musste ich, um uns den Springfritzen vom Halse zu schaffen. – Und du, was hast du in den anderthalb Jahren getan?
    ALWA
    Ich hatte mit einem Stück, das ich über dich geschrieben, einen Achtungserfolg in der literarischen Gesellschaft.
    LULU
    Wer ist dein Schatz?
    ALWA
    Eine Schauspielerin, der ich eine Wohnung in der Karlstraße gemietet habe.
    LULU
    Liebt sie dich?
    ALWA
    Wie soll ich das wissen! Ich habe die Frau seit sechs Wochen nicht gesehen.
    LULU
    Erträgst du das?
    ALWA
    Das wirst du nie begreifen. Bei mir besteht die intimste Wechselwirkung zwischen meiner Sinnlichkeit und meinem geistigen Schaffen. So z.B. bleibt mir dir gegenüber nur die Wahl, dich künstlerisch zu gestalten oder dich zu lieben.
    LULU (im Märchenton)
    Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich sei einem Lustmörder unter die Hände geraten. Komm, gib mir einen Kuss!
    ALWA
    In deinen Augen schimmert es, wie der Wasserspiegel in einem tiefen Brunnen, in den man einen Stein geworfen hat.
    LULU
    Komm!
    ALWA (küsst sie)
    Deine Lippen sind allerdings etwas schmal geworden.
    LULU
    Komm! (Sie drängt ihn in einen Sessel und setzt sich ihm aufs Knie.) Graut dir vor mir? – Im Hotel »Ochsenbutter« bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes Bad. Die Aufseherinnen benutzten dann die Gelegenheit, um uns, sobald wir im Wasser waren, die Taschen zu durchsuchen. (Sie küsst ihn leidenschaftlich.)
    ALWA
    Oh, oh!
    LULU
    Du

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