Lulu
fürchtest, du könntest, wenn ich fort bin, kein Gedicht mehr über mich machen?
ALWA
Im Gegenteil, ich werde einen Dithyrambus über deine Herrlichkeit schreiben.
LULU
Ich ärgere mich nur über das scheußliche Schuhwerk, das ich trage.
ALWA
Das beeinträchtigt deine Reize nicht. Lass uns der Gunst des Augenblickes dankbar sein.
LULU
Mir ist heute gar nicht danach zumut. – Erinnerst du dich des Kostümballes, auf dem ich als Knappe gekleidet war? Wie mir damals die beschwipsten Frauen nachrannten! Die Geschwitz kroch mir um die Füße herum und bat mich, ich möchte ihr mit meinen Zeugschuhen ins Gesicht treten.
ALWA
Komm, süßes Herz!
LULU (in dem Tone, in dem man ein unartiges Kind beruhigt)
Ruhig; ich habe deinen Vater erschossen.
ALWA
Deswegen liebe ich dich nicht weniger. Einen Kuss!
LULU
Beug den Kopf zurück. (Sie küsst ihn mit Bedacht.)
ALWA
Du hältst meine Seelenglut durch die geschicktesten Künste zurück. Dabei atmet deine Brust so keusch. Und trotzdem, wenn deine beiden großen, dunklen Kinderaugen nicht wären, müsste ich dich für die abgefeimteste Dirne halten, die je einen Mann ins Verderben gestürzt hat.
LULU (aufgeräumt)
Wollte Gott, ich wäre das! Komm heute mit über die Grenze. Dann können wir uns sehen, so oft wir wollen, und werden mehr Vergnügen als jetzt aneinander haben.
ALWA
Durch dieses Kleid empfinde ich deinen Wuchs wie eine Symphonie. Diese schmalen Knöchel, dieses Cantabile; dieses entzückende Anschwellen; und diese Knie, dieses Capriccio; und das gewaltige Andante der Wollust. – Wie friedlich sich die beiden schlanken Rivalen in dem Bewusstsein aneinanderschmiegen, dass keiner dem andern an Schönheit gleichkommt – bis die launische Gebieterin erwacht und die beiden Nebenbuhler wie zwei feindliche Pole auseinanderweichen. Ich werde dein Lob singen, dass dir die Sinne vergehn!
LULU (lustig)
Derweil vergrabe ich meine Hände in deinem Haar. (Sie tut es.) Aber hier stört man uns.
ALWA
Du hast mich um meinen Verstand gebracht!
LULU
Kommst du heute nicht mit?
ALWA
Der Alte fährt doch mit dir!
LULU
Der kommt nicht mehr zum Vorschein. – Ist das noch der Diwan, auf dem sich dein Vater verblutet hat?
ALWA
Schweig – Schweig …
Zweiter Aufzug
Ein geräumiger Salon in weißer Stukkatur mit breiter Flügeltür in der Hinterwand. Zu beiden Seiten derselben hohe Spiegel. In beiden Seitenwänden je zwei Türen; dazwischen links eine Rokokokonsole mit weißer Marmorplatte, darüber Lulus Bild als Pierrot in schmalem Goldrahmen in der Wand eingelassen. In der Mitte des Salons ein schmächtiges, hellgepolstertes Sofa Louis XV . Breite hellgepolsterte Fauteuils mit dünnen Beinen und schmächtigen Armlehnen. Rechts vorn ein kleiner Tisch. Links hinten Entreetür. Die vordere Tür führt zum Speisezimmer. Die Mitteltür steht offen und lässt im Hinterzimmer einen breiten Bakkarattisch, von türkischen Polstersesseln umstellt, sehen. ALWA SCHÖN, RODRIGO QUAST , der Marquis CASTI-PIANI , Bankier PUNTSCHU , Journalist HEILMANN, LULU , die Gräfin GESCHWITZ, MAGELONE, KADIDJA, BIANETTA, LUDMILLA STEINHERZ , bewegen sich im Salon in lebhafter Konversation. Die Herren sind in Gesellschaftstoilette. – LULU trägt eine weiße Direktoirerobe mit mächtigen Ärmeln und einer vom oberen Taillensaum frei auf die Füße fallenden weißen Spitze; die Arme in weißen Glacés, das Haar hochfrisiert mit einem kleinen weißen Federbusch. – Die GESCHWITZ in hellblauer, mit weißem Pelz verbrämter, mit Silberborten verschnürter Husarentaille. Weißer Schlips, enger Stehkragen und steife Manschetten mit riesigen Elfenbeinknöpfen. – MAGELONE in hellem regenbogenfarbigen Changeantkleid mit sehr breiten Ärmeln, langer schmaler Taille und drei Volants aus spiralförmig gewundenen Rosabändern und Veilchenbuketts, Das Haar in der Mitte gescheitelt, tief über die Schläfen fallend, an den Seiten gelockt. Auf der Stirn ein Perlmutterschmuck, von einer feinen, unter das Haar gezogenen Kette gehalten. – KADIDJA , ihre Tochter, zwölf Jahre alt, in hellgrünen Atlasstiefeletten, die den Saum der weißseidenen Socken freilassen; der Oberkörper in weißen Spitzen; hellgrüne, enganliegende Ärmel; perlgraue Glacés; offenes schwarzes Haar unter einem großen hellgrünen Spitzenhut mit weißen Federn. – BIANETTA in dunkelgrünem Samt; perlenbesetzter Göller, Blusenärmel, faltenreicher Rock ohne Taille, der untere Saum mit großen, in Silber
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