Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
genau. Du hast selbst gesehen, wie
sehr die Erinnerung an seinen Bruder ihm gestern Nacht zugesetzt hat. Mein
Gott, ich kenne diesen Heißsporn nun seit so vielen Jahren, wie hatte ich nur
einen Moment lang annehmen können, er könnte seine Gefühle wie ein Erwachsener
handhaben!« Hansen schnaubte. »Ich hätte mir denken sollen, dass er so
reagieren würde.«
» Wie reagieren würde?«, fragte ich.
»Kopflos!«,
schleuderte Hansen zurück. »Überstürzt und unbedacht! Selbstmörderisch!«
»Hansen,
nun beruhigen Sie sich erst einmal. Vielleicht ist das alles nichts weiter als
ein Missverständnis. Gut, Kiro wurde gestern wieder an Mike erinnert, aber
schließlich trägt er die Sorge um seinen Bruder schon sehr viel länger mit sich
herum, und bislang hat er das gut weggesteckt. Ist es nicht viel
wahrscheinlicher, dass er einfach … einen Spaziergang macht, oder einen
Einkaufsbummel?«
Hansen
wischte meine Einwände mit einer wegwerfenden Handbewegung beiseite. »Das ist
Unsinn, und das weißt du ebenso gut wie ich. Kiro würde niemals verschwinden,
ohne eine Nachricht zu hinterlassen, nicht in dieser prekären Situation. Ich
halte es für weitaus wahrscheinlicher, dass du es warst, die ihn zu diesem
Größenwahn angestiftet hat!«
»Was, ich ?«
Mir
blieb vor Empörung die Luft weg.
»Ja,
ganz recht, Laura.« Hansens Miene hatte sich verfinstert. »Du konntest ja nicht
den Mund halten und musstest unbedingt deine Überzeugung kundtun, was das
Schicksal Michaels betrifft. Natürlich hat die Saat, die du in den Jungen
gepflanzt hast, Früchte getragen.« Seine Augen verengten sich. »Ja, vielleicht
war das sogar der einzige Zweck deiner Bemerkung«, fuhr er gefährlich langsam
fort. »Wahrscheinlich wolltest du sogar, dass er auf deine Worte hin Hals über Kopf
aufbricht, um sich auf die Suche nach seinem Bruder zu machen – so hättest du
endlich deine wohlverdiente Ruhe. Ist es nicht so?«
»Nein!«
Ich spürte geradezu, wie mir heißes Blut ins Gesicht schoss. »Sie sollten mich
besser kennen, Hansen. Kiro und ich hatten unsere … Differenzen, aber deshalb
würde ich niemals versuchen, ihn loszuwerden.«
»Ach,
nein?«
Ich
biss mir auf die Unterlippe. »Kiro ist mir nicht gleichgültig«, sagte ich
heiser. »Ich habe mich von ihm distanziert, gerade weil er mir nicht
egal ist. Begreifen Sie das denn nicht?«
Hansens
Hände verhakten sich krampfhaft ineinander, wahrscheinlich, weil er sie anders
nicht unter Kontrolle gebracht hätte.
»Nein«,
sagte er gepresst. »Nein, Laura, das verstehe ich nicht.«
»Sie
wollen also einen Beweis von mir? Einen Beweis für meine … Gefühle?« Ich sah
durch die nach wie vor offenstehende Tür zurück in mein Zimmer. »Gut, sie
bekommen ihn. Geben Sie mir fünf Minuten, um mich umzuziehen. Ich bringe Kiro
zurück.«
Ich
drehte mich bereits auf dem Absatz herum und ging mit raschen Schritten voran,
um meine Ankündigung in die Tat umzusetzen, als Hansen endlich aus seiner
Erstarrung erwachte. Mit einem Ruck löste er sich von seinem Platz und eilte
mir nach.
»Nein,
Laura, warte! Das ist keine besonders gute Idee. Denkst du etwa, ich will neben
Kiro auch noch dich der Gefahr aussetzen, die dort draußen lauert? Du bleibst
gefälligst hier. Ich werde selbst gehen.«
»Kommt
nicht infrage«, schleuderte ich zurück – und schleuderte gleichermaßen das Hemd
von mir, das ich über Nacht getragen hatte.
In
Windeseile hatte Hansen eine Kehrtwendung vollführt und die Hände über den Kopf
geworfen. »Gott, Laura! Ich bin noch im Zimmer!«
»Ich
weiß doch, dass Sie ein Mann mit Manieren sind«, gab ich süffisant zurück,
während ich mir bereits ein frisches Hemd überzog. »Und außerdem sind Sie Arzt.
Da setze ich ein gewisses Maß an Pietät voraus.«
»Laura,
sei vernünftig! Es tut mir leid, dass ich dir Vorhaltungen gemacht habe. Du
warst ehrlich, und das sollte ich dir nicht zum Schlechten auslegen. Nimm meine
Entschuldigung an und komm wieder zu Verstand.«
»Ich bin bei Verstand.«
Nun
kickte ich auch die Hose von den Beinen. Hinter mir hörte ich Hansen ächzen,
doch da ich mich nicht nach ihm umdrehte, konnte ich nicht feststellen, ob er
dies tat, weil er aufgrund meiner stümperhaften Striptease-Show oder meiner
Sturheit verzweifelte.
»Du
weißt, dass ich dir auf Schritt und Tritt folgen werde, wenn du nun das Haus
verlässt?«, versuchte er ein letztes Mal, mich von meinem Vorhaben abzubringen.
»Das
werden Sie schön bleiben lassen«, gab
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