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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Vogltanz
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ich ernst zurück, während ich in die Beine
einer – zumindest halbwegs – sauberen Hose stieg. Mittlerweile hatte Hansen
Kiro und mir Kleidung in unseren Größen besorgt, doch da ich sie vor dem Kauf
nicht hatte anprobieren können, passte sie mehr schlecht als recht. Bislang
hatte mich das nicht weiter gestört, aber nun, da ich mich seit vielen Wochen
wieder vor die Tür bewegen würde, hätte ich eine Hose bevorzugt, die mir nicht
bei jedem Schritt bis zu den Knien zu rutschen drohte. Ich hatte im vergangenen
Monat einiges an Gewicht verloren, wie mir nun zum ersten Mal bewusst wurde.
    »Und
warum? Warum sollte ich auf dich hören?«
    Ich
sah auf. Hansens Gesicht war kalkweiß.
    »Weil
Sie Kiro doch sicher auf keinen Fall verpassen wollen, sollte er zurückkommen.
Stellen Sie sich seine Verwirrung vor, wenn er hier auftaucht und das Haus leer
vorfindet. Er würde denken, dass uns etwas Schreckliches zugestoßen ist, und
wahrscheinlich in Panik ausbrechen. Und was er dann tut, kann keiner
voraussehen. Nein, Hansen, Sie bleiben hier und warten auf uns.«
    Hansen,
dessen sonst so akkurate Frisur heftig durcheinandergeraten war, weil er sich
so oft mit den Fingern hindurchgefahren war, ächzte zum zweiten Mal. Unter
seinem Auge zuckte ein Muskel.
    »Nehmen
Sie´s nicht so schwer, Doktor.« Ich lächelte knapp. »Beim nächsten Mal werden
Sie wieder das letzte Wort haben, da bin ich sicher.«
    Mit
diesem Satz schob ich mich an dem perplexen Arzt vorbei und Richtung Ausgang.
Bevor Hansen auf die Idee kommen konnte, mich mit Gewalt von meinem Vorhaben
abzubringen, hatte ich bereits die Eingangstür hinter mir zugeschlagen und
überquerte raschen Schrittes den liebevoll gepflegten Rasen, der in einem Grün
leuchtete, das mir viel zu gesund erschien, um noch natürlich sein zu können.
    Tief
sog ich die frisch schmeckende Luft in die Lungen, verengte die Augen, um sie
vor dem ungewöhnlich hellen Licht zu schützen. Es schien mir eine halbe
Ewigkeit her zu sein, seit ich unter freiem Himmel gewesen war, und ich konnte
nicht umhin, mich zu fühlen wie eine Maus auf offenem Feld, die sich ihren
scharfäugigen, geflügelten Feinden wie auf dem Präsentierteller anbot. Mehrmals
flog mein Kopf von einer Seite zur anderen, um sicherzustellen, dass ich nicht
beobachtet oder gar verfolgt wurde.
    »Verdammt,
Kiro, was tust du mir an?«, zischte ich den Gänseblümchen zu, bevor sie von
meinen nackten Füßen zertrampelt wurden.
    Je
weiter ich mich von Hansens Haus entfernte, desto mehr zweifelte ich an meinem
Verstand. Gut, es stimmte nicht, dass ich Kiro absichtlich dazu verleitet
hatte, sich auf die Suche nach Mike zu machen, aber dass ich über sein
Verschwinden eigentlich erleichtert sein sollte, entsprach doch zumindest teilweise
der Wahrheit. Wie oft hatte ich mir in den vergangenen Tagen gewünscht, dieses
Problem könnte sich so einfach aus der Welt schaffen lassen?
    Ich
stieß ruckartig die Luft durch die Nase aus. Unsinn. Was ich Hansen gesagt
hatte, stimmte – Kiro war mir nicht gleichgültig, noch immer nicht. Ich konnte
ihn nicht einfach aus meinem Leben streichen wie eine überflüssige Variabel in
einer Gleichung. Und wenn er in Gefahr geraten sollte, weil ich ein unbedachtes
Wort ihm gegenüber gesprochen hatte, könnte ich mich niemals wieder selbst im
Spiegel ansehen.
    Meine
Schritte beschleunigten sich, und mittlerweile bewegten meine bloßen Füße sich
über rauen, von der Sonne erhitzten Asphalt. Ich fühlte mich immer wieder dazu
verleitet, den Boden zu fixieren, aus Angst um die Unversehrtheit meiner
Fußsohlen, zwang mich dann aber stets wieder dazu, den Blick geradeaus zu halten.
Zum ersten Mal wurde ich mir dessen bewusst, dass ich nicht die geringste Ahnung
hatte, wo ich überhaupt nach Kiro suchen sollte. Wie fand man einen Menschen,
der wiederum auf der Suche nach einem anderen war? Das erschien mir auf
widerwärtige Weise paradox.
    Immer
schneller klatschten meine Schritte über den heißen Beton. Ich begegnete
Menschen, die mir verwundert nachsahen, vielleicht weil ich lief, oder weil ich
keine Schuhe trug, oder weil meine Kleidung an mir herabhing wie ein Müllsack
mit Löchern – oder weil ich eine gesuchte Brandstifterin war. Seit Wochen hatte
ich nicht mehr mit Fremden zu tun gehabt, und diese Begegnungen waren wie pures
Gift für mich. Jeder Blick traf mich bis ins Mark, und Panik ließ meinen Atem
heftig hecheln. Meine Augen rollten wie wild in den Höhlen bei dem Versuch,
jedes Detail

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