Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
mächtiger
Magier, der seinesgleichen jagt und tötet …«
»Unsinn«,
zischte der andere und schnitt mir mit einer heftigen Bewegung das Wort ab.
»Der Mann, von dem du da sprichst, ist auf eurer Seite! Zwar bedient er sich
anderer Methoden als ihr, und ihr mögt unterschiedliche Anschauungen haben, aber
er ist es nicht, den ihr fürchten müsst. Nicht dieses Mal. Ihr seid zwei
Parteien, die unabhängig voneinander gegen einen gemeinsamen Feind ankämpfen.«
»Was
soll das heißen?«, fragte ich verwirrt.
Der
andere seufzte und fuhr sich durch sein langes, beinahe weiß schimmerndes Haar.
»Komm ein Stück mit mir. Es behagt mir nicht, zu lange an diesem Ort zu verweilen.«
Ohne
zu zögern, folgte ich dem Fremden, denn auch mir machte die düstere, unsichtbare
Präsenz zu schaffen, die den Platz erfüllte wie ein übler Geruch. Nachdem wir
uns weit genug von der ehemaligen Schule entfernt hatten, setzte sich der
Blonde an den Straßenrand und bedeutete mir, es ihm gleichzutun.
»Laura,
du hast in den vergangenen Wochen einiges gelernt«, begann er. »Du weißt, dass
die Welt, wie sie die meisten Menschen sehen, nichts weiter ist als ein
Fantasiegebilde, eine Wunschvorstellung von Wesen, deren Wahrnehmungsvermögen
so sehr eingeschränkt ist, dass sie die Lücken in ihrem Weltbild mit imaginären
Trugbildern füllen müssen.«
Ich
wiegte den Kopf. »Nun ja, das stimmt vermutlich.«
Er
lächelte, und seine Zähne blitzten. »In Wahrheit leben wir, und damit meine ich
jedes Wesen auf diesem Planeten, in einem empfindlichen, kosmischen
Gleichgewicht. Jede Kreatur, die auf Erden wandelt, verfügt über geistiges
Potenzial, eine schöpferische Kraft, die es ihr ermöglicht, Einfluss auf ihre
Umwelt auszuüben. Die Kräfte mancher dieser Wesen sind stärker ausgeprägt, etwa
wie bei dir und mir. Bei anderen hingegen sind sie schwach, so schwach, dass
sie von ihren Besitzern nicht einmal wahrgenommen werden. Fakt ist jedoch, dass
jeder Funken Energie, jedes bisschen kosmische Kraft, gleich wiegt in jenen
empfindlichen Waagschalen, die das Geschick unserer Welt bestimmen. Jede Tat,
sei es das Stillen eines Kindes oder das Töten eines unliebsamen Widersachers,
fließt in dieses Gleichgewicht mit ein.«
»Ich
fürchte, ich verstehe nicht ganz«, murmelte ich.
»Du
wirst verstehen«, versicherte der Blonde. »Energien sind nicht immer
gleichwertig. Wie bei so vielen Dingen in der Natur existieren auch bei den
kosmischen Kräften zwei gegensätzliche Pole. Vereinfacht ausgedrückt könnte man
von einem positiven und einem negativen Pol sprechen. Die Existenz dieses
Gegensatzes ist von großer Bedeutung, denn nur, wenn sich positive und negative
Energien die Waage halten, also gleich gewichtet sind, kann die Balance
erhalten bleiben.« Er atmete ein, sein Blick wanderte in die Ferne. »Bei einem
besonders grausamen Mord oder einer ähnlich einschneidenden Tat geschieht es
zuweilen, dass am Ort des Geschehens das Gleichgewicht der Kräfte kippt, was
ein für Menschen wie uns deutlich spürbares, zeitlich begrenztes Loch in die
Realität reißt. Was uns allerdings nun bevorsteht, ist kein kleiner Pickel im
Gesicht der Welt – es ist ein blutiger Schlaganfall. Der negative Pol ist
während der letzten Jahrhunderte stetig angewachsen, die kosmischen Kräfte sind
nicht länger ausgeglichen. Wenn kein Weg gefunden wird, diese Tendenz
aufzuhalten, wird das Gleichgewicht der Kräfte unwiderruflich zerstört.«
»Und
dann?«, fragte ich.
»Dann
wird die Illusion zerbrechen, die die Menschen für die Realität halten«,
erwiderte der Blonde. Er faltete die Hände im Schoß, wie zum stummen Gebet.
»Das neu verteilte Gleichgewicht wird eine neue Realität gebären. Eine, in der
wir schwache Wesen nicht länger bestehen werden können.«
»Sie
sprechen in Rätseln«, stellte ich fest.
»Es
sind die Kräfte der Lebewesen, die dabei sind, sich zu verändern«, erklärte er
bereitwillig. »Sie werden sich anpassen, und dadurch alles, was von ihnen
abhängig ist. Wie ein Blutstropfen, der in reines Wasser fällt, wird das Böse
die Seelen der Menschen vergiften. Sie werden einem schleichenden,
selbstzerstörerischen Wahnsinn anheimfallen. Die ersten Opfer werden jene sein,
die schwach sind, jene, die sich des Einflusses von außen nicht einmal bewusst
sind. Bald darauf werden die übrigen folgen, bis schließlich die ganze Welt von
der Seuche des Wahnsinns befallen ist. Es ist wie ein Lauffeuer, das sich umso
rascher ausbreitet,
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