Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
seiner Frau. Sie hätten ihnen ihr
Leben anvertraut, Gott weiß, warum. In jedem Fall lief ihr Plan schrecklich
schief. Zwar gelang es ihnen, Kiro Hansens Obhut zu übergeben, doch auf ihrem
Weg aus der Stadt hinaus wurden sie von Polizisten aufgespürt und hingerichtet.
So kamen Kiros wahre Eltern tatsächlich ums Leben.«
Ich
konnte meinen Ohren nicht trauen. War es wirklich möglich, dass das, was dieser
rätselhafte Unbekannte mir soeben eröffnet hatte, der Wahrheit entsprach? Oder
versuchte er nur, sich mein Vertrauen durch hemmungslose Lügen zu erschleichen?
»Du
zweifelst wohl immer noch«, stellte der andere fest. »Dabei schien es dir nicht
so viel Überwindung gekostet zu haben, dem alten Hansen seine Geschichten
abzukaufen.«
Ich
zuckte die Schultern. »Sie müssen verstehen, dass mich das Ganze ziemlich von
den Socken haut. Kiro ist stark, das wusste ich, aber ich hätte niemals geglaubt,
dass er diese Stärke von …«
»Seinen
Eltern hat?«, beendete der Blonde meinen Satz amüsiert. »Du scheinst in
Biologie nicht besonders gut aufgepasst zu haben, Mädchen.«
»Aber
meine Eltern besitzen auch keine magischen Fähigkeiten«, widersprach ich. In
meinen Wangen fühlte ich eine dumpfe Hitze, und ich glaubte, rot geworden zu
sein.
»Nicht
jeder erbt seine Fähigkeiten von seinen Eltern. Gene sind nicht alles, meine
Liebe, auch das solltest du eigentlich wissen. Manche von uns haben biologische
Veranlagungen, andere haben einfach nur Talent, und wieder andere erwerben ihre
Fähigkeiten, indem sie hart dafür arbeiten.«
Ich
schüttelte widerwillig den Kopf. »Sie lenken vom Thema ab. Warum hat Hansen
Kiro zu anderen Eltern gegeben? Und wieso hat er uns all das verschwiegen?«
Nun
war es an dem Blonden, die Schultern zu heben. »Mädchen, ich kenne zwar Hansens
Charakter beinahe in- und auswendig, aber das heißt noch lange nicht, dass ich
all seine verworrenen Gedankengänge nachvollziehen kann. Ich weiß weder warum
er die Verantwortung, den Sohn seines besten Freundes zu hüten, so
rücksichtslos von sich wies noch warum er nicht einmal den Anstand hatte, das
zuzugeben.«
Ich
schluckte hart. Je länger ich über die Worte des anderen nachdachte, desto mehr
Sinn machten sie in meinen Ohren. Ich konnte es nicht leugnen – die Geschichte
hatte Hand und Fuß. Mein Widerstand drohte, in sich zusammenzubrechen wie eine
Sandburg, über die eine Welle hinwegwusch.
»Weißt
du, Laura«, begann der Fremde nach einigen Minuten in bedrückendem Schweigen,
»vielleicht liegt es einfach daran, dass Hansen in Wahrheit ein gänzlich
anderer Mensch ist als der, für den er sich dir gegenüber ausgegeben hat.«
Ich
starrte zu Boden. »Er verbietet mir, zu lernen. Sein Buch hat er vor mir
weggeschlossen.«
Der
Fremde schnalzte missbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Was für
ein erbärmlicher Wicht. Er möchte verhindern, dass du ihn eines Tages in den
Schatten stellst. Du sollst leicht kontrollierbar bleiben, ein zahmes Haustier.
Deshalb hält er dich an der kurzen Leine.«
»Denken
Sie wirklich?«
»Ich
kenne diesen Mann, seit wir zusammen auf der Universität studiert haben,
Mädchen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«
Ich
schauderte ein wenig, als ein Windstoß durch meine Kleidung fuhr. Ich hatte mir
nicht einmal eine Jacke übergezogen, als ich Hals über Kopf aufgebrochen war,
um einen im Grunde Fremden zu suchen – von meinen nach wie vor nackten Füßen
gar nicht zu reden. Plötzlich kam ich mir unvorstellbar dumm vor.
»Du
frierst«, stellte der Fremde fest. »Wir sollten uns irgendwo unterstellen. Dich
nach Hause bringen.«
»Ich
habe kein Zuhause«, flüsterte ich, und Tränen sammelten sich in meinen Augen.
Der
andere berührte mit einem kühlen Finger meine Wange, wischte das Wasser fort.
»Jeder sollte ein Zuhause haben. Du könntest bei mir wohnen.«
Mit
einem Ruck fuhr mein Kopf hoch. »Nein!« Ich hatte das Wort beinahe geschrien.
Der
Fremde hob beschwichtigend die Hände. »Keine Sorge, Mädchen. Ich werde dich zu
nichts zwingen. Ich wollte dir lediglich meine Hilfe anbieten, nichts weiter.«
»Ich
brauche Ihre Hilfe nicht«, gab ich zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück.
»Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Ich bin eine Magierin.«
»Und
eine mächtige noch dazu«, nickte der andere lächelnd. »Du hast recht, du
brauchst niemanden.« Er hob den Kopf und sah in die Ferne, und als ich seinem
Blick folgte, erkannte ich, dass wir uns vor den
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