Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Es konnte nicht mehr lange dauern, und
es würde erwachen und seine giftigen Fänge in meine Hand schlagen.
»Nein«,
sagte ich schließlich mit fester Stimme.
»Nein?«
Irgendwo tief in Kiros Innerem schien etwas zu zerbrechen. Ich konnte förmlich
die Scherben rieseln hören.
»Nein.
Ich gehöre nicht zu euch.« Ich wich einige Schritte zurück. Mein Fuß berührte
etwas Weiches, Nachgiebiges, und als ich den Kopf wandte, sah ich, dass ich auf
eine der toten Krähen getreten war.
»Aber
wohin willst du denn gehen?«, fragte Kiro verzweifelt. »Bitte, Laura, komm mit
mir. Hansen ist sicher schon krank vor Sorge.«
»Hansens
Gefühle kümmern mich nicht«, sagte ich. »Ebenso wenig wie deine. Es wird Zeit,
dass ich euch verlasse. Ich hätte es schon sehr viel eher tun sollen.« Und
damit ließ ich Kiro, der mir immer noch eine zitternde Hand entgegenhielt, an
Ort und Stelle stehen und folgte dem Fremden, der schon beinahe außerhalb
meiner Sichtweite war.
»Laura? Laura! «
Ich
sah nicht zurück, als ich Kiros Schreie hörte. Über mir ballten sich die Gewitterwolken
zusammen, und ein leises Donnergrollen ertönte in der Ferne. Eisige Tropfen
landeten in meinem Gesicht, und ich begrüßte die ernüchternde Kälte. Auf meinen
Zügen lag eine grimmige Entschlossenheit, und von neuer Kraft erfüllt, ging ich
meinem Schicksal entgegen.
Kapitel XIII
Wieder und wieder
fuhr sein Messer in das nachgiebige, von Federn gespickte Fleisch. Blut spritzte
ihm ins Gesicht, aber er bemerkte es kaum, war ganz und gar in seine grausige
Aufgabe versunken, zog die Klinge unermüdlich aus dem Gewebe und stieß wieder
zu, rein und raus, rein und raus …
Eine
Hand legte sich auf seine Schulter. »Hör auf damit. Es ist genug.«
Die
Stimme blieb irgendwo am Rande seines Bewusstseins hängen, drang nicht bis zu ihm
vor. Verbissen fuhr er fort: rein und raus, rein und raus.
Plötzlich
wurde er hart an den Schultern gepackt, und jemand schüttelte ihn kräftig. » Hör
auf! Siehst du denn nicht, dass es längst tot ist?«
Wie
aus einer tiefen Trance erwacht, hob Taoyama den Kopf und sah in die gestrengen
Augen Viktor Brandts, der über ihm aufragte wie ein zorniger Gott. Der
strömende Regen, der ihn ebenso wie Taoyama bis auf die Knochen durchnässte,
tat seinem furchteinflößenden Erscheinungsbild keinen Abbruch. Beinahe
erschrocken warf Taoyama das blutige Messer von sich und wischte sich die Hände
hastig an seinen Hosenbeinen ab, angewidert von der fleischigen Masse vor ihm,
aber vor allem von sich selbst.
»Das
… das wollte ich nicht.«
Brandts
Züge erweichten sich, und er seufzte tief. Langsam schüttelte er den Kopf. »Was
würde Maria dazu sagen, wenn sie dich so sehen könnte?«
Taoyama
biss sich auf die Unterlippe und rieb sich über die Oberarme, um ein wenig
Wärme in seinen Körper zu zwingen. Verdammtes Wetter.
»Sie
wäre wohl stinkwütend. Ich … ich weiß nicht, was mit mir los war. Es war, als
wäre ich besessen. Verzeihen Sie mir, Viktor.«
»Entschuldige
dich nicht bei mir, Junge«, erwiderte Brandt und zog ihn im selben Atemzug auf
die Füße. »Entschuldige dich lieber bei deiner Reinigung.« Mit dem Kinn deutete
er auf Taoyamas rot besprenkelte Kleidung. Als der Japaner an sich herabsah,
stellte er schaudernd fest, dass er aussah wie ein Metzger.
Taoyama
schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Das könnte auffallen.«
Brandt
wischte seine Bedenken mit einer lässigen Handbewegung beiseite. »Wenn du das
denkst, dann hast du den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen. Außerdem
wird der Regen bald alles fortgewaschen haben, du brauchst dir also keine
Sorgen zu machen. Wir sollten uns nun besser wieder auf den Weg machen. Gut
möglich, dass dies«, er sah auf den Haufen blutiger, schwarzer Federn herab, der
vor Taoyamas wütendem Angriff ein Vogel gewesen war, »nicht der einzige Spion
ist. Besser, wir bleiben in Bewegung.«
Brandt
trat ein paar Schritte zurück und bückte sich dann nach dem Messer, das Taoyama
fallen gelassen hatte. Er wischte die Klinge im spärlichen Gras ab, danach
reichte er seinem Schützling die Waffe mit dem Griff voran. Brandt selbst war
nie bewaffnet, er vertraute auf die ihm von Natur aus eigene Stärke – zumindest
war es das, was er Taoyama einmal auf eine dementsprechende Frage hin anvertraut
hatte.
Nachdem
Taoyama das Messer wieder sicher in seinem Mantel verstaut hatte, machte Brandt
eine einladende Geste nach vorne. Gehorsam ging Taoyama voran,
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