Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
dicht gefolgt
von Brandt, der dem Japaner nicht von der Seite wich. Seit Marias Entführung
hatte Brandt seinen Schützling keine Sekunde lang aus den Augen gelassen; er
schien ernsthaft um dessen Sicherheit besorgt. Dabei wusste Taoyama nicht, vor
wem Brandt ihn eher beschützen wollte: vor ihren Feinden oder vor sich selbst.
Bei
diesem Gedanken schluckte Taoyama hart. Jede Sekunde, in der er seinen Engel
nicht in die Arme schließen konnte, versetzte ihm einen heftigen Stich ins
Herz, und etwas in seinem Verstand schien seit jenem grässlichen Erlebnis
gestorben zu sein. Dass er sich wie ein tollwütiger Hund auf all seine Feinde
stürzte, war nur eine der zahlreichen Nebenwirkungen seiner Trauer. Er wusste
sehr gut, dass er verdammtes Glück hatte, überhaupt noch am Leben zu sein – und
er dieses Geschenk mit Füßen trat, indem er es bei jeder sich bietenden Gefahr
aufs Spiel setzte. Darauf hatte Brandt ihn schon mehr als einmal aufmerksam
gemacht, doch Taoyama hatte jedes bisschen Selbstbeherrschung verloren. Er
brauchte die Bewegung, den Kampf, die Gefahr – vor allem brauchte er etwas, das
ihn davon abhielt, zu intensiv nachzudenken. Solange er seinen düsteren Grübeleien
keinen Raum ließ, konnte er sich erfolgreich einreden, dass Maria noch am Leben
war, irgendwo in der Gewalt ihrer Feinde und ihrer Freiheit beraubt, aber
unversehrt und nur darauf wartend, dass Taoyama sie befreite.
Und
genau das hatte er auch vor.
Nach
Marias Entführung war es Taoyama gelungen, Brandt doch noch von der Idee mit
dem Peilsender zu überzeugen. Es war ihnen auch tatsächlich geglückt, einer der
Krähen das winzige Gerät unterzujubeln, indem sie es, wie Taoyama von Anfang an
vorgeschlagen hatte, in einem Stück Fleisch verborgen hatten. Das Tier hatte
den Köder gierig hinuntergeschlungen, ohne auch nur den geringsten Verdacht zu
schöpfen, und seither folgten sie der digitalen Spur ihres Feindes.
Das
winzige, elektronische Gerät in Brandts Hand piepte hektischer. Taoyama warf
einen Blick zurück, um den Schirm zu kontrollieren, und auch Brandt blieb
stehen und sah mit gerunzelter Stirn auf das Radar herab. Taoyama hatte sich
bereits so sehr an dieses Geräusch gewöhnt, dass er es kaum noch wahrnahm. Nur,
wenn die Intervalle zwischen den Pfeiftönen kürzer wurden, wurde er darauf
aufmerksam – so wie jetzt.
»Er
muss ganz in der Nähe sein«, murmelte Brandt und deutete auf den leuchtenden
Punkt auf dem Radar, der sich beinahe im Zentrum der grünen Spirale befand.
Taoyama
straffte sich, und beinahe instinktiv schloss sich seine Hand um den
Messergriff, der aus seiner Manteltasche hervorragte. »Worauf warten wir dann
noch?«
Er
machte Anstalten, voranzustürmen, als er Brandts Hand auf seiner Schulter
spürte, die ihn zurückhielt. Ungeduldig wandte er sich zu seinem Mentor um.
»Du
weißt, dass das nicht das Geringste bedeuten muss?«, fragte Brandt, während er
Taoyama eindringlich taxierte.
Taoyama
schnaubte. »Natürlich weiß ich das. Es ist schließlich nicht das erste Mal,
dass wir den dämlichen Vogel einholen, und bislang hat er uns noch keine
vernünftige Spur geliefert.«
Brandt
nickte ernst. »Ich will nur, dass du dir nicht allzu viele Hoffnungen machst.
Selbst, wenn wir tatsächlich etwas finden sollten, heißt das noch lange nicht
…«
»Dass
wir eingreifen können, ich weiß«, unterbrach Taoyama Brandt ein wenig lauter
als angebracht. »Sie lassen ja keine Möglichkeit aus, mir das einzuhämmern.«
»Oder
dass wir Maria finden«, ergänzte Brandt, Taoyamas letzten Satz geflissentlich
überhörend. »Wahrscheinlich ist sie gar nicht mehr am Leben. Es ist wichtig,
dass du diese Möglichkeit nicht ganz aus deinem Kopf verdrängst, Junge. Die
Enttäuschung könnte dich sonst kampfunfähig machen, und dann bin ich vollkommen
auf mich allein gestellt. Das wäre fatal, schließlich sind wir schon zu zweit
alles andere als eine Armee.«
Zerknirscht
nickte Taoyama. Er nahm es Brandt nicht übel, dass er nur von ihren
Schlachtplänen sprach – wie Taoyama Maria bereits an jenem schicksalhaften Tag
erklärt hatte, ging es um mehr als um sie beide, und davon war er nach wie vor
überzeugt. Es wurde nur zusehends schwieriger, diese Überzeugung aufrechtzuerhalten.
»Gut,
wenn das nun geklärt ist, dann lass uns gehen«, sagte Brandt.
Zusammen
schritten die beiden ungleichen Männer voran, dem ungeduldigen Piepsen des
Radargeräts folgend. Aufregung breitete sich in Taoyamas Magen aus und ließ
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