Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Andreas behauptet hatte, die
Bürde auf seinen Schultern nicht abstreifen konnte? Dieselbe Bürde, die
angeblich auch auf mir lastete? Hatte Er uns etwa nur aus dem Grund
verfolgt, um mich hierher zu bringen und mich vor dem bevorstehenden Schicksal
der Welt zu warnen? Nachdem ich solange der festen Überzeugung gewesen war,
dass es sich bei Ihm um meinen schlimmsten Feind handelte, fiel es mir
sehr schwer, das zu glauben. Im Grunde hätte ich keinerlei Zweifel daran
gehabt, einem mächtigen Betrug aufzusitzen, wäre da nicht Andreas gewesen. Ich
konnte einfach nicht anders, der Magier hatte sich mein Vertrauen gesichert.
Zwar hatte er mir niemals seine Identität bestätigt, aber wenn er tatsächlich
Kiros Vater war, dann hatte er einst auf der lichten Seite dieser Auseinandersetzung
gekämpft. Konnte ich glauben, dass ein Magier, der vor wenigen Jahren so
entschieden für die gerechte Sache eingetreten war, eine
Hundertachtziggraddrehung gemacht hatte? War er vielleicht gar nicht auf der
Seite unseres Widersachers, sondern spielte nur den Vermittler zwischen zwei
Kräften, um uns auf den richtigen Weg zu bringen?
Oder
war das nur das, was ich gerne glauben wollte?
Ich
seufzte schwer. Mittlerweile waren wir bei meinem Zimmer angelangt, und nach
einer flüchtigen Verbeugung trollte der Diener sich. Ich trat ein und erblickte
sogleich das Schreiben, von dem Andreas gesprochen hatte. Anstatt es mir sofort
anzusehen, ließ ich mich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Hinter meiner
Schädeldecke schien mein Gehirn Karussell zu fahren, und Fetzen meiner Unterhaltung
mit Andreas wirbelten wild darin durcheinander.
Das
Ende der Welt. Das klang so … unfassbar. Hatte ich nichts bereits Dutzende
Filme zu diesem Thema gesehen, hunderte Bücher gelesen?
Ich
öffnete ein Auge und schielte zu dem Stück Papier hinüber, das nun anstelle des
Serviertabletts auf dem Tisch lag. Aus der Ferne sah es alt aus, uralt.
Wahrscheinlich handelte es sich nicht einmal um Papier, sondern um Pergament
oder Papyrus. Ich hatte zwar nicht viel Ahnung von diesen Dingen, aber
irgendwie hatte ich nicht den Eindruck, als könnte es sich um eine Fälschung
handeln.
Langsam
richtete ich mich im Bett auf, das Schriftstück dabei nicht aus den Augen
lassend.
Komm , wisperte es mir zu, lies mich schon.
Das willst du doch.
Oder
ich las es nicht und blieb bei meiner Meinung. Denn wenn ich es las, das wusste
ich, würde ich unweigerlich in meiner Entschlossenheit wanken. Besser, ich
rührte es nicht an und blieb der Fels in der Brandung.
Ich
stieß einen langgezogenen Seufzer aus und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar.
Es fühlte sich strohig an, was kein Wunder war, da es seit mehreren Tagen weder
Kamm noch Wasser gesehen hatte – von einigen Regenschauern abgesehen. Das
Schriftstück schien mich aus der Ferne hämisch anzugrinsen, eine einzelne Reihe
gelblicher Zähne.
Was,
wenn ich mich nun irrte? Wenn ich tatsächlich das Schicksal der Menschheit auf
dem Gewissen hätte, wenn ich auf meinem Nein beharrte? Würde ich mit dieser
Möglichkeit leben können?
Die
Antwort war klar.
»Verdammt«,
murmelte ich und erhob mich endgültig. Weit rücksichtsloser, als man ein
Schriftstück diesen Alters handhaben sollte, riss ich es von seinem Platz auf
dem Tisch und ließ mich damit erneut aufs Bett fallen.
»Was
für eine Gutenachtlektüre!«, schimpfte ich es.
Meine
Augen huschten über die seltsamen Zeichen auf dem sich organisch anfühlenden
Material. Ich hatte richtig gelegen, Pergament. Sehr, sehr altes Pergament. Die
Schriftzeichen darauf wirkten fremd, unverständlich, und doch … konnte ich
nicht leugnen, dass sich tief in meinem Inneren ein leises Gefühl der
Vertrautheit regte, während ich die ineinander verschlungenen Linien
betrachtete, die sich scheinbar ohne System durch die Seite zogen, wie Adern auf
der Haut eines alten Mannes. Da fiel mir plötzlich ein, wo ich solche Zeichen
schon einmal gesehen hatte. Ich hatte sie selbst in den Staub gezeichnet, und
das war nur wenige Tage her.
Ich
schluckte und blinzelte mehrmals heftig.
Und
dann begann ich zu lesen.
» Wenn
die sieben Monde in einer Linie stehen «, sagten meine Lippen beinahe ohne
mein Zutun, » und der achte sich schwarz wie geronnenes Blut färbt,
und die Sonne ihr großes, glühendes Auge in Trauer schließt,
wird die Waagschale des Lebens und des Todes kippen
und das Wasser des Verstandes wird sich ins Universum ergießen,
und wird alles ertränken, was es
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