Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
erfahren sollte, das werde ich Ihm niemals verzeihen können.«
Gegen meinen Willen brannten mir plötzlich Tränen in den Augen. Ich hatte
gehofft, über dieses Erlebnis hinweg zu sein oder meine Gefühle wenigstens
zurückhalten zu können, aber nun zeigte sich, dass ich mich getäuscht hatte.
Die Trauer und der Zorn waren noch da, und sie drängten gnadenlos an die
Oberfläche.
Die
Hand auf meinem Unterarm, die allen physikalischen Naturgesetzen zum Trotz
meine Körperwärme nicht annahm, drückte tröstend zu. Es war eine überraschende
Geste, die ich Andreas nicht zugetraut hätte. Nur aus diesem Grund hörte ich
seinen folgenden Worten bereitwillig zu.
»Ist
dir schon einmal der Gedanke gekommen, dass es gut ist, dass die alte Laura
vernichtet wurde? Manchmal müssen Dinge vernichtet werden, um Platz für etwas Neues,
Besseres zu schaffen. Niemand weint der unansehnlichen Raupe nach, die dem
zierlichen Schmetterling weicht. Keiner würde den winzigen, unscheinbaren
Samen, der blind unter der Erde auf sein Erwachen wartet, gegen den Früchte
tragenden, mächtigen Baum tauschen, zu dem er emporwächst. Du kannst nicht leugnen,
dass dieses Erlebnis, von dem du mit so bitterer Stimme sprichst, dich stärker
gemacht hat. Es hat dir die Kraft gegeben, die nötig war, um dich von den
alten, starren Fesseln loszureißen, die dich kleingehalten haben.«
Ich
knetete die Hände im Schoß, biss mir auf die Unterlippe. Es stimmte, zumindest
zum Teil. Wäre Er nicht in mein Innerstes vorgedrungen, hätte ich Kiro
und Hansen gewiss nie verlassen und mich auf Andreas´ Seite geschlagen. Doch
noch war nicht abzusehen, ob es sich dabei tatsächlich um eine vernünftige
Entscheidung gehandelt hatte. Schließlich wusste ich immer noch nicht, was Andreas
und sein Herr eigentlich von mir wollten .
»Ich
sehe, du zweifelst noch immer«, stellte Andreas fest.
»Wie
sollte ich nicht?«, gab ich prompt zurück. »Du hast recht, was ich erlebt habe,
hat Platz für etwas Neues gemacht. Aber wenn eine Schlüpfwespe ihre Larven im
Körper eines anderen Insekts ablegt, heißt das noch lange nicht, dass das, was
den Wirt von innen zerfrisst und schließlich aus ihm schlüpft, besser ist als
das, was es verzehrt hat, um am Leben zu bleiben. Ich weiß noch nicht, ob ich
jetzt ein stärkerer Mensch bin als zuvor …«
»Aber
das wirst du sein«, beteuerte Andreas.
»…
oder ob ich das gut heißen soll«, endete ich mit leicht erhobener Stimme.
Andreas
hob eine besänftigende Hand. Ich war erleichtert, dass sie nun nicht mehr auf
meinem Arm ruhte, und zog diesen sicherheitshalber ein Stück an mich.
»Du
willst also wissen, warum ich dich hierher gebracht habe?«
»Ich
will wissen, was dein Meister von mir will«, erwiderte ich. »Seit ich erfahren
habe, dass ich eine Magierin bin – eigentlich schon lange davor –, versucht Er ,
mich aus dem Weg zu räumen. Warum also sitze ich dir nun gegenüber, im Versteck
deines Herrn, heil und in einem Stück? Das macht einfach keinen Sinn!«
Andreas
lächelte leicht amüsiert. »Niemand wollte dich aus dem Weg räumen ,
Laura. Wir brauchen dich, hast du das noch immer nicht begriffen?«
»Ich
will mit deinem Meister sprechen.«
»Du
bist ein verstocktes Mädchen, Laura. Das kann gefährlich sein.«
»Drohst
du mir?«
»Schon
möglich. Gibst du mir einen Grund dazu?«
Ich
verstummte widerwillig und schluckte den Kloß hinunter, der sich in meiner
Kehle zu bilden begann. Ich musste achtgeben, dass ich mich nicht zu sehr im
Ton vergriff. Andreas war weit mächtiger als ich, und das würde er mich spüren
lassen, wenn ich es mir mit ihm verscherzte. Dass er mir das vertraute Du
angeboten hatte, hieß noch lange nicht, dass wir auf derselben Stufe standen.
»Gut,
ich sehe, dass unsere Fronten geklärt sind«, stellte Andreas fest. Seine Stimme
klang schon etwas versöhnlicher. »Nun, Laura, ich habe dich nicht hierher
gebracht, um dir nun keine deiner Fragen zu beantworten. Du wirst allerdings
verstehen, dass ich nicht zulassen kann, deinem Wunsch nachzugeben, dich mit
meinem Herrn bekannt zu machen. Er ist ein viel beschäftigter Mann,
musst du wissen, und hat weder Zeit noch Geduld, sich mit Seinen Untergebenen herumzuschlagen.«
»Untergebenen?«,
versicherte ich mich. »Ich weiß nicht, wie du auf die Idee kommst, ich könnte
…«
Eine
gebieterische Handbewegung von Andreas ließ mich augenblicklich verstummen. »Du
verfügst noch nicht über den nötigen Wissensstand, um eine
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