Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
nicht?«
»Unsinn.«
Hansens Faust krachte auf den Tisch. »Hör mir jetzt gut zu, Kiro, denn dieser
Teil ist der wichtigste. Es geschah etwas Schreckliches, das unser aller Glück
zerschmettern sollte. Wie du weißt, wurde eines Tages die Polizei auf uns
aufmerksam. Es war ein dummer Zufall, nichts weiter, aber er sollte alles
zunichtemachen. Mit einem Mal gerieten wir ins Visier der Behörden. Man wollte
uns tot sehen, zumindest aber hinter Schloss und Riegel. Und zu allem Überfluss
trat auch Er einige Wochen später auf die Bildfläche. Ich glaube nicht,
dass Er eine Moral, ein Gewissen kennt. Ich habe es dir bislang
verschwiegen, aber es gab nicht nur auf unserer Seite Verluste. Auch Polizisten
verschwanden. Es war höchst eigenartig, und es schürte den Hass auf beiden
Seiten. Manchmal denke ich, dass dies der einzige Grund war, weshalb Er sich einmischte. Um das Feuer noch weiter anzufachen. Das schien Ihm Vergnügen zu bereiten.«
Hansen
erhob sich von seinem Stuhl, setzte sich jedoch einen Herzschlag später wieder.
Er hatte herumgehen, seine Beine beschäftigen wollen, aber da noch immer
Finsternis in der Küche herrschte, war das keine sonderlich gute Idee.
»Viele
Kameraden, die ich sehr lieb gewonnen hatte, wurden Opfer dieses Wahnsinnigen.«
»Auch
Ihre Frau«, vermutete Kiro. »Aber das wussten wir längst.«
»Sei
still«, sagte Hansen, aber es klang weniger scharf als müde. »Oder willst du
die Geschichte erzählen?«
Kiro
antwortete nicht, aber Hansen glaubte, so etwas wie ein Kopfschütteln in der
Dunkelheit wahrzunehmen.
»Andreas
und Eloin hatten mittlerweile einen Sohn geboren«, fuhr Hansen fort. »Das warst
natürlich du, du Prachtexemplar von einem Zauberlehrling. Da sie die zwei
mächtigsten Magier in unserem Zirkel waren, setzten wir all unsere Hoffnung in
sie, aber diese Stellung brachte sie auch in Bedrängnis. Der Polizei blieb
nicht verborgen, dass sie so eine Art Anführerposition innehatten, und so mussten
Eloin und Andreas ständig auf der Hut sein. Die Lage war fatal, und so trafen
sie eine Entscheidung. Sie entschlossen sich, die Stadt zu verlassen und erst
zurückzukehren, wenn sich die Lage beruhigt hatte. Du selbst solltest in Sicherheit
gebracht werden, denn das unstete Leben, das deine Eltern nun wählen mussten,
wäre zu gefährlich für ein Würmchen wie dich gewesen. Du hattest ja noch nicht
mal Zähne. Bei ihrer Rückkehr wollten sie auch dich wieder zu sich nehmen.
Glaube mir, wenn ich dir sage, dass dich diese Menschen nicht aus
Gleichgültigkeit an jemand anderen weitergegeben haben. Ihr einziger Grund war
die Sorge um dein Wohlergehen. Du solltest in eine intakte Familie
hineinwachsen, doch dazu war es erst notwendig, diese Familie mit allen
Mitteln, auch denen der Trennung, zu beschützen.
Diesen
Plan schmiedeten sie im Geheimen, damit nichts nach außen durchsickern konnte.
Nur Miranda und ich, ihre engsten Vertrauten, wussten darüber Bescheid. Selbst
wir kannten den genauen Tag ihrer Flucht nicht.« Hansen schluckte. Er sehnte
sich nach heißem, schwarzem Kaffee. »Von Miranda weiß ich, dass sie beide noch ein
letztes Mal sah, bevor … es geschah. Eloin suchte sie eines Nachts auf, um ihr
ein merkwürdiges, altes Buch in die Hände zu drücken, das sie mir geben sollte.
Es ist dasselbe, das Laura mir gestohlen hat. Ich weiß bis heute nicht, was es
damit für eine Bewandtnis hat. Ich konnte es niemals lesen.«
»Wie?
Etwa keine Zeile?« Kiro klang überrascht.
»Doch.
Ein paar Worte vielleicht, oder hier und da einen Satz. Aber zu mehr reichten
meine Fähigkeiten nicht aus. Herrgott, ich bin doch kein Sprachwissenschaftler.«
Hansen vergrub das Gesicht in den Händen, während er die Ellbogen auf dem Tisch
abstützte. »Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit in diese Sache gesteckt. Dann
wüssten wir jetzt vielleicht, was Er damit vorhat. Aber ich glaube, dass
es keinen Unterschied gemacht hätte. Manche Bücher wollen einfach nicht gelesen
werden.«
»Und
Andreas? Sie sagten, Miranda sah beide ein letztes Mal.«
»Andreas
kam in der darauffolgenden Nacht zu ihr. Er hatte ein winziges Bündel von
Mensch bei sich, das er ihr überreichte. Er brachte ihr dich .«
Kiro
sagte nichts. Anhand der sachten Bewegung des Tisches spürte Hansen, dass er
zitterte.
»Wir
waren deine ersten Pflegeeltern, Junge. Schon immer waren wir deine Paten
gewesen, und nun war die Zeit gekommen, dich in unsere Obhut zu nehmen. Wir
waren sicher, diese Aufgabe meistern zu
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