Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
hole ich eine Taschenlampe. Anschließend ziehe ich mir wasserdichtes
Schuhwerk an, gehe da raus und tue – etwas.«
Hansen
schnaubte. In seiner Brust war eine seltsame, unruhige Hitze erwacht, und seine
Finger zitterten vor Anspannung. Nachdem er all die Schrecken der Vergangenheit
erneut enthüllt hatte, fühlte er sich um Zentner leichter. Seine Erzählungen
hatten große, schwere Brocken beiseite gerollt, die bis dahin vor der Höhle
seiner Seele gelegen und jedes Licht ausgesperrt hatten.
»Das
klingt doch mal nach einem Plan. Du wirst es nicht glauben, Junge, aber ich bin
dabei.«
In Taoyama war es
dunkel geworden. Genau wie der Himmel hatte auch seine Seele sich verfinstert,
und ebenso wie das Firmament wurde auch sein Inneres immer wieder von grellen
Blitzen zerrissen – Blitze der Erinnerung, des Schmerzes.
Er
saß allein in seinem schrecklich leeren Zimmer, auf dem Bett, das er so viele
Male mit Maria geteilt hatte. Ihm war, als wäre ihm sein Engel ferner als je
zuvor. Dabei hätte alles so einfach sein können, wäre da nicht Brandt gewesen.
Taoyama hasste ihn. Er hasste alles an diesem aufgeblasenen Wichtigtuer: seine
ruhige, beherrschte Art, mit ihm zu sprechen, seine kühle Berechnung, seinen
Realismus. Und am meisten hasste Taoyama, wie er ihn behandelte. Weder war er
ein Kind noch eine Kristallglasfigur, die man mit Glacéhandschuhen anfassen
musste.
Der
Japaner schnaubte und warf den Kopf zurück. Seine rechte Hand verkrallte sich
um sein eingeklapptes Taschenmesser, das als beruhigendes Gewicht an seiner
Manteltasche zog. Er hatte kein einziges Kleidungsstück abgelegt, als er nach
Hause gekommen war, nicht einmal seine Schuhe, die widerliche, schlammige
Flecken auf den weißen Laken hinterließen. Sauberkeit war nun nicht mehr wichtig,
und sie würde niemals wieder wichtig werden.
Er
presste die Augen zu, und Marias Antlitz tauchte hinter seinen geschlossenen
Lidern auf. Sie war tot, bei Gott, Taoyama wusste, dass sie tot war. Er hatte
sie verloren, weil Brandt zu feige gewesen war, um sich auf eine direkte
Konfrontation einzulassen. Dieser verdammte Bastard wusste längst, wo sich Er und Seine Anhänger verschanzt hatten. Das war ihm vor wenigen Stunden
Taoyama gegenüber herausgerutscht. Obwohl Taoyama für gewöhnlich ein umgänglicher
Zeitgenosse war, der niemals laut wurde, wäre er Brandt beinahe an die Gurgel
gefahren. Wie hatte er es wagen können, Taoyama in dieser wichtigen Sache
anzulügen? Ihn durch die Weltgeschichte zu jagen, als hätte das irgendeinen
Nutzen? Aber Brandt, dieser Hund, hatte sich geweigert, den Ort preiszugeben.
Hatte behauptet, Taoyama würde dem Tod direkt in die Arme laufen, wenn er dort
einfach so hineinplatzte. Damit wäre Maria dann auch nicht mehr geholfen, hatte
er zu allem Überfluss noch hinzugefügt. Als wäre da noch der geringste Glaube
in seinem kühlen Hirn, dass es noch Rettung für seinen Engel gäbe, die Taoyama
durch unbedachtes Handeln zerschlagen könnte.
Da
war Taoyama der Kragen geplatzt. Er hatte Brandts Schreibtisch mit einem
Aufschrei umgestoßen, sodass sein Mentor unter Papieren begraben worden war,
und war schnurstracks nach draußen gerannt. Sein Gesicht hatte heiß geglüht,
und nicht einmal der eisig-kalte Regen hatte ihn abkühlen können. In diesem
Moment hätte er liebend gerne seine Hände um den Hals des anderen gelegt, und
nur die Flucht vor seinen unerbittlich starrenden Augen hatte verhindern
können, dass Taoyama vollends die Beherrschung verlor.
In
der Stadt war die Hölle los, und mehr als einmal musste Taoyama einen
verwirrten Irren zu Boden stoßen, der ihm kreischend in die Arme laufen wollte.
Einige dieser Irren waren bewaffnet, andere nicht. Für Taoyama, der sich in
einem aufgewühlten Zustand befand und nichts um sich herum wirklich wahrnahm,
spielte das keine Rolle, er rannte jeden nieder, der sich ihm näherte.
Nun
befand er sich bereits seit einigen Stunden auf seinem Hotelzimmer und starrte
zornig an die Decke. Immer wieder kam ihm in den Sinn, dass er Brandt hätte
zwingen müssen, ihm den Ort zu nennen, an dem man Maria gefangen hielt – oder
zumindest ihre Leiche versteckt hatte. Er wollte sie nur noch einmal sehen, ein
einziges Mal ihr seidiges Haar berühren. Dann könnte er in Frieden gehen.
Heiße
Tränen pressten sich aus seinen Augenwinkeln, und ein tiefes Schluchzen zerriss
Taoyamas Brust. Er hätte noch immer zurückgehen können, um Brandt zu bedrohen,
ihn anzuflehen. Aber er wusste,
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