Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
können. Wir haben es so sehr versucht.«
Weitere Tränen liefen an Hansens Wangen hinab. Er versuchte nun nicht mehr, das
Beben in seiner Stimme zu unterdrücken.
»Am
nächsten Tag waren Eloin und Andreas verschwunden. Jemand hatte beobachtet, wie
sie nächtens von einer Horde Polizisten durch die Stadt gejagt worden waren. Trotz
aller Geheimhaltung musste es irgendwo eine Lücke gegeben haben, jemand, der
etwas gewusst hatte und nicht den Mund hatte halten können. Man fand eine Menge
Blut, doch keinen Leichnam. Vielleicht schafften sie es. Ich glaube es
allerdings nicht. Sie hätten sich gemeldet, als alles vorbei war.«
»Heißt
das etwa, meine Eltern leben vielleicht noch, irgendwo da draußen?«, krächzte
Kiro.
»Junge,
ich weiß es nicht. Vieles ist möglich.«
»Wenn
du etwas weißt, dann musst du es mir sagen. Du weißt doch etwas?« Plötzlich
stand dieses vertraute Du im Raum, ließ die Entfernung zwischen ihnen noch weiter
schmelzen.
Hansen
seufzte. »Lass mich weitererzählen. Wenn ich am Ende angelangt bin, reden wir
darüber, das verspreche ich dir. Ich werde dir nicht länger ausweichen, das
habe ich lange genug getan. Habe also noch etwas Geduld.« Wieder griff Hansen
nach der ausgedämmten Zigarette, malte unsichtbare Zeichen auf den unsichtbaren
Tisch. »Miranda und ich waren fest entschlossen, dir ein neues Zuhause zu
bieten. Wir entschieden, dass es besser für dich wäre, wenn du in dem Glauben
aufwachsen würdest, dass wir deine richtigen Eltern wären. Und ohne das Wissen um
dein magisches Erbe. Du solltest nicht in dieselben Schwierigkeiten geraten,
die deinen Eltern das Leben gekostet hatten, solltest ein normales, sorgloses
Leben führen können, wie jedes andere Kind auch.
Aber
es kam ganz anders. Wenige Tage, nachdem du praktisch auf unserer Schwelle
abgelegt worden warst, geschah das nächste Unglück. Wir waren beide auf der
Trauerfeier jener Zirkelmitglieder gewesen, die es nicht geschafft hatten. Dort
weinten wir auch um Eloin und Andreas. Ich schickte Miranda mit dir voraus, da
ich noch etwas mit einem Freund zu besprechen hatte und wir dich aus dem Wind schaffen
wollten. Du solltest dich doch nicht erkälten.« Hansen schniefte. »Ich brauchte
nur wenige Minuten, aber es war bereits zu spät. Als ich nach Hause kam, war Miranda
fort. Die Wohnung verwüstet. Jemand hatte sie mitgenommen. Ich sah sie nie wieder.«
»Und
ich?« Kiros Stimme klang ungeduldig, fordernd. Er war immer noch zornig, dass
Hansen all das vor ihm geheim gehalten hatte. Das konnte er nur zu gut
verstehen.
»Du
warst unversehrt, aber … aber ich konnte dich nicht länger bei mir haben. Wann
immer ich dich sah, erinnertest du mich an all das, was ich verloren hatte.
Meinen besten Freund. Meine Frau und Seelenpartnerin. Ich wäre kein guter Vater
gewesen und hätte die Schuld nur auf dich abgewälzt. Außerdem solltest du fort
aus dieser grässlichen Umgebung, die viel zu gefährlich für ein so kleines,
schutzloses Wesen wie dich war. Also gab ich dich weg. Ich war überzeugt, dass
es dir bei Fremden besser ergehen würde. Trotzdem konnte ich dich nie
vollständig vergessen. Ich besuchte dich und deine neuen Eltern, wann immer ich
konnte, denn ich sorgte mich um dich, fühlte mich für dich verantwortlich.
Vielleicht hatte ich auch im Gefühl, dass der Ärger dir im Blut steckt und dir
ein ruhiges, normales Leben verwehrt bleiben würde …«
»Und
du hast mir nie etwas gesagt, weil …«
»Weil
ich es dir nicht noch schwerer machen wollte«, presste Hansen hervor.
»Oder
weil du es dir selbst nicht schwerer machen wolltest«, erwiderte Kiro trocken.
»Ja,
wahrscheinlich hast du recht.« Hansen schluckte hörbar. »Nun weißt du alles. Es
war mir wichtig, dass du es erfährst, bevor … es zu Ende ist.«
»Ich
kann das nicht fassen. Ich glaube es einfach nicht.«
Hansen
schwieg. Er hatte mehr als genug gesagt.
Vor
den Fenstern hatte die Apokalypse einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Sturm
rüttelte an den Rahmen, und Hansen hörte überdeutlich, wie der Wind wütend
durch die zerbrochene Scheibe im Wohnzimmer fauchte, obwohl die Türen
dazwischen fest verschlossen waren. Es war schwer zu sagen, wie lange die Wände
dieser Belastung noch standhalten würden.
»Und
nun?«, fragte Hansen schließlich, nachdem sie eine schiere Ewigkeit in
Schweigen zugebracht hatten. »Was wirst du nun tun?«
Er
hörte, wie Kiro scharrend den Stuhl zurückschob, auf dem er gesessen hatte.
»Nun – zuerst einmal
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