Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
noch besser als nichts, nicht
wahr? Und schlimmer kann es kaum mehr werden.«
Bestätigend
fuhr der wohl hundertste Blitz krachend in den Rasen vor dem Haus und
hinterließ zornig zischende Glut. Zum Glück hatte dieses Haus einen vernünftigen
Blitzableiter.
Kiro
schwieg nachdenklich. Sein scharfer Atem klang überaus laut in der Finsternis.
»Warum tun wir nicht dasselbe?«, fragte er schließlich. »Sie wissen genau, wie
ich über diese Sache denke. Wir sollten hinausgehen und kämpfen.«
»Und
wogegen?« Obwohl er wusste, dass der Junge ihn nicht sehen konnte, lächelte der
Arzt trocken. »Gegen das Unwetter? Den Wahnsinn?«
»Gegen Ihn .«
»Das
ist unmöglich.« Hansen schrie beinahe. Gegen seinen Willen war er aufgesprungen,
und an seinem Hals pochte eine Ader hart und unangenehm. » Er ist kein
Gegner für uns. Und Er ist nicht unser Feind.«
»Nicht
unser Feind? « Die Fassungslosigkeit war Kiros Stimme deutlich anzuhören.
» Er ist es nicht, der all das bewirkt, begreifst du das noch immer nicht?« Ohne es
zu bemerken, redete Hansen sich in heiße Rage. » Er ist ein Monster, ein
Ungetüm, aber Ihn herauszufordern, würde unsere Situation nicht
verbessern. Es würde nichts ändern, nichts, nichts!«
Plötzlich
lachte Kiro vollkommen unerwartet auf. »Sie haben Angst vor Ihm . Bei
Gott, Sie haben die Hosen voll!«
»Das
ist nicht wahr.« Hansen fiel in seinen Stuhl zurück. Seine Worte klangen
zerknirscht, resignierend.
Mit
einem Mal war jeder Spott aus Kiros Stimme verschwunden. »Hansen, ich weiß,
dass Er Ihnen Schreckliches angetan haben muss. Daher ist es nur
selbstverständlich, dass Sie es um jeden Preis vermeiden möchten, Ihm gegenüberzustehen. Aber denken Sie nicht auch, dass es an der Zeit ist, die
Vergangenheit hinter sich zu lassen? In die Zukunft zu sehen?«
Hansen
seufzte schwer und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Seine Finger rochen
nach Tabak, was ihn anwiderte. Rasch faltete er seine Hände im Schoß. Innerlich
sammelte er Kraft für die Rede, die er nun halten musste. Er hatte so sehr
gehofft, dass sie niemals notwendig werden würde, doch er konnte die Augen
nicht länger verschließen. Es war Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken.
»Kiro«,
begann er leise, »es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss. Ich war nicht
ehrlich zu dir, ich denke, das hast du mittlerweile selbst begriffen. Und bei
Gott, ich hatte auch meine Gründe dafür, aber nun … nun scheint mir, als wären
diese Gründe nichtig geworden. Alles ist plötzlich nichtig.« Er tastete nach
der Kippe auf dem Tisch, zerrieb sie zwischen seinen Fingern. »Du hast
wahrscheinlich recht, wir werden die nächsten Stunden mit großer Wahrscheinlichkeit
nicht überleben. Daher ist es besser, wenn ich gleich mit der Wahrheit herausrücke.
Deine Eltern …« Hansen atmete scharf ein und schloss die Augen. Bei Gott, warum
tat diese Erinnerung so weh?
»Ich
kannte deinen Vater, Kiro. Ich kannte ihn sogar ziemlich gut. Andreas – so hieß
er – und ich studierten an derselben Universität Medizin. Er war eigentlich immer
bodenständig, ein herzensguter Kerl, der mit beiden Beinen fest im Leben stand.
Kam aus einer wohlhabenden, angesehenen Familie, der perfekte Schwiegersohn,
höflich, gesittet. Und verdammt, ein echter Goldjunge! Was er auch anfasste, es
gelang ihm.« Hansen schüttelte den Kopf bei dieser Erinnerung, was einen
dumpfen Schmerz hinter seiner Stirn wachrief. »So war er, bevor er deine Mutter
kennenlernte. Eines Tages schleppte er dieses … dieses Weib an. Schon,
als er sie mir vorstellte, begriff ich alles. ›Darf ich dich mit meiner
Herzensdame Eloin bekannt machen?‹, hat er mich gefragt und dabei gestrahlt wie
ein Atomkraftwerk. Eloin! Was für ein Name soll das bitte sein? Ich sah sofort,
dass von ihr nichts Gutes kommen konnte. Sie steckte immer in bodenlangen, wahrscheinlich
handgenähten Kleidern; wenn sie nicht barfuß war, trug sie Sandalen oder Schuhe
aus Leder, die sicher nicht aus dem Discounter stammten. Ihre Haare waren
schrecklich lang, so etwas sieht man sehr selten. Und ihre Augen! Sie waren …
furchterregend. Du hast sie geerbt, Kiro.«
»Was
ist mit meinen Augen?« Kiros Stimme klang heiser.
»Sie
sind so viel … lebendiger, voller als die anderer Menschen. Ich kann ihnen auch
keine Farbe zuordnen. Sind sie nun … braun, oder grün, oder blau, oder einfach
nur schwarz? Je nachdem, wie das Licht darauf fällt, scheinen sie anders zu
leuchten. Das beunruhigt mich. Ich
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