Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
zu
wechseln, oder ob ich ihn in den neuen Körper einkerkerte, bis ich ihn selbst daraus
befreite. Diese Möglichkeiten und die Verantwortung, die damit Hand in Hand
ging, schreckten mich anfangs noch ab – aber meine Hemmungen hielten nicht lange
vor.
Wie
auch immer, ich stellte fest, dass Ratten und Vögel ideale Zielkörper für meine
Verwandlungen waren. Zweifelsfrei waren Vögel die schwierigere Spezies, da sich
ihre anatomischen Merkmale gravierend vom menschlichen Körper unterschieden, doch
sie leisteten auch die besseren Dienste, und so lohnte es sich, Schweiß und
Blut für diese Aufgabe zu vergießen.
Mit
derselben gierigen Hast, mit der ich Zeile für Zeile dieses unheiligen Buches
verschlang, nutzte ich meine neu erworbenen Erkenntnisse für unsere Zwecke. Ich
veränderte meine Gestalt, wann immer ich unser Versteck verließ, um mich
unbemerkt unter dem Feind bewegen zu können. Auf diese Weise brachte ich in
Erfahrung, wo seine und unsere Schwachstellen lagen, kittete die unseren mit
großer Kunstfertigkeit und Vorsicht, während ich die des anderen schamlos
nutzte. So war es mir bald gelungen, ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen.
Unglücklicherweise
hatten meine fieberhaften Studien nicht ausschließlich Vorteile. Seit ich das
Buch erforschte, schien sich Eloin immer weiter von mir zu entfernen. Zuvor
hatte ich sie nie belogen, mittlerweile purzelte bei jedem Wort eine Unwahrheit
aus meinem Mund. Ich hasste mich selbst dafür, aber ich tat es für sie – und
unseren Sohn. Nachdem ich erst einmal angefangen hatte, Eloin mit Geschichten
abzuspeisen, gingen mir die neuen Lügen immer leichter von den Lippen. Unbeschwert
tischte ich ihr Märchen auf, wenn sie wissen wollte, was ich nachts tat,
während ich mich in Wahrheit mit einigen vertrauten Gleichgesinnten traf, die
sich mir anschließen wollten, um der Ungerechtigkeit der Behörden endgültig
einen Riegel vorzuschieben. Zwar fühlte sie sehr wohl bei meiner Heimkehr in
den frühen Morgenstunden, wenn ich meine Seele mit einem neuerlichen Mord
befleckt hatte, doch gelang es ihr nicht, mir die Wahrheit über die
Geschehnisse der vergangenen Nacht zu entlocken.
Es
dauerte nicht lange und ich hatte meine Vorgehensweise perfektioniert. Zum
einen war da ein kleiner Kreis enger Vertrauter, die mir wegen meiner Macht
blind folgten, zum andern befehligte ich eine Armee willenloser Lakaien, deren Geister
ich manipulierte. Anfangs verabscheute ich mich noch dafür, in den Verstand
eines anderen Wesens einzubrechen und ihn zu verändern, aber die Zeit und die
Geschehnisse zwangen mich dazu, die Notwendigkeit dieser Vorgehensweise einzusehen.
Jeder Krieg verlangt nach Kanonenfutter, und wenn eine Seite ihm dieses
verwehrt, hat sie praktisch bereits verloren.
Ich
rekrutierte also meine Armee von Untergebenen, Verfechter der guten Sache, und
entsandte sie als Ratten und Krähen. Dadurch wusste ich stets, wo der Feind
sich gerade aufhielt, und war ihm immer einen Schritt voraus. Ja, selbst in
unseren eigenen Reihen deckte ich Verrat und Hinterlist auf – Mitglieder des Zirkels,
die der Polizei Hinweise auf meinen Aufenthaltsort gaben, um ihren eigenen Kopf
aus der Schlinge zu ziehen. Meine Anhänger folgten diesem feigen Pack, suchten
es sogar in den modrigen Zellen der Polizei auf, wenn unsere Feinde ihrer vor
uns habhaft geworden waren, nahmen es mit sich und führten es mir vor.
Anschließend oblag mir die Entscheidung, ob ich meine Armee von Schergen
vergrößern oder den See der Macht in mir weiter füllen wollte, indem ich die
Verräter tötete und ihre Energie der meinen hinzufügte, wie ich es das erste
Mal mit dem Rattenfänger getan hatte. Letzteres war meine bevorzugte Vorgehensweise,
denn so konnte ich sicherstellen, dass sich die Denunzianten nicht eines Tages
meinem Einfluss entzogen und mein Imperium von innen schädigten.
Ich
möchte nicht behaupten, dass es mir Vergnügen bereitete, ehemalige Verbündete
zu töten und mich an ihnen zu bereichern. Bei Gott, ich hatte diese Menschen
geliebt wie Geschwister!
Aber
sie hatten uns verraten, und daher musste ich sie unschädlich machen, so wie
man entzündete Gliedmaßen von einem gesunden Körper trennen muss, um zu verhindern,
dass er infiziert wird. Ich hatte gar keine andere Wahl – oder zumindest keine,
die infrage kam. Dass ich ihre freischwebenden Seelen nicht vergeuden konnte,
versteht sich von selbst, und ich brauchte diese zusätzliche Nahrung, um meine
höchst anspruchsvolle
Weitere Kostenlose Bücher