Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Vogltanz
Vom Netzwerk:
eine Sondereinheit aus dem Nichts gebären.
    Der
einzige Ort, an dem wir einigermaßen sicher waren, war jener, an dem wir uns am
allerwenigsten aufhalten wollten: die MONDSCHEINGASSE. Nur im äußersten Notfall
fanden wir uns dort zusammen. Bedauerlicherweise trat dieser Notfall immer häufiger
ein.
    Was
als gewöhnliche Polizeiuntersuchung seinen Anfang nahm, wurde rasch zu einer
Menschenjagd von unfassbaren Ausmaßen. Es genügte, ein paar Worte mit mir zu
wechseln, um in Gefahr zu geraten, in der darauffolgenden Nacht aus dem Bett
geworfen und von der Polizei verschleppt zu werden. Familien wurden
auseinandergerissen, Unschuldige hinter Gitter geworfen, Lebensbiografien zerstört.
Und das war meine Schuld.
    Das
bodenlose Unglück unserer kleinen, verwundbaren Gemeinschaft schien kein Ende
zu nehmen. Während die Polizei wie ein zorniges Kind um sich schlug, entdeckten
wir, dass Eloin schwanger war, und dies wohl schon seit einer geraumen Weile.
Wie wir, ausgerechnet wir , die wir doch sonst jeden Funken Leben in
dieser Welt erspürten, dies hatten übersehen können, war uns schleierhaft. Vielleicht
gehörte dies zu den wenigen Dingen, die die Natur vor uns eifersüchtig hütete,
vielleicht waren wir einfach nicht aufmerksam genug gewesen. Wahrscheinlich
hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn wir früher Bescheid gewusst hätten,
trotzdem frage ich mich noch heute, wie unser Leben verlaufen wäre, wenn nur
ein kleiner, harmloser Schwangerschaftstest unseren Weg gekreuzt hätte.
    Jedes
neue Leben war ein Wunder für uns, trotzdem wünschten wir, dieses Wunder hätte
sich einen günstigeren Zeitpunkt ausgesucht, um uns zu ereilen. Ich kann nur
vermuten, wie es Eloin erging, aber als der große Tag dann kam, wurde meine
Freude über den winzigen Menschen in meinen Armen von der Sorge über die allseits
präsente Bedrohung überschattet. Ich wollte dem kleinen Mann alles bieten, was
man einem Kind bieten kann, ihm meine väterliche Liebe und Fürsorge zuteil
werden lassen, aber ich befürchtete, dass dieser Vorsatz zum Scheitern verurteilt
wäre. Man jagte mich und meinesgleichen unerbittlich, und ich wusste, dass wir
über kurz oder lang unterliegen würden. Gegen die geballte Angst und den Hass
der ganzen Stadt kamen wir einfach nicht an.
    Als
ich auf meinen Sohn in Eloins Armen herabsah, dessen leuchtende Augen so anders
waren als die aller anderen Neugeborenen – nicht wasserblau, sondern dunkel wie
die Nacht, und doch in allen Farben schillernd, eine beinahe exakte Kopie der
ausdrucksstarken Seelenfenster seiner Mutter –, fasste ich erstmals den
Entschluss, das Buch zu lesen und zu benutzen, fest davon überzeugt, dass ich
darin die Antworten auf meine drängenden Fragen finden würde.
    Wann
immer Eloin unser Versteck verließ, vergrub ich mich in dem uralten Wälzer und freundete
mich mit den beunruhigenden Schriftsymbolen an, die mir anfangs noch penetrant
in den Augen gebrannt hatten. Ich verstand die Texte mit derselben Sicherheit,
mit der ich eine vertraute Fremdsprache entschlüsselt hätte, ohne jede Praxis,
ohne jedes Vorwissen. Ich erfuhr, wer der Mann gewesen war, dem ich das Buch
gestohlen hatte, und ich lernte, was er bis zum Zeitpunkt seines gewaltsamen Todes
beherrscht hatte. Ich saugte all dieses magische Wissen in mich auf wie ein
trockener Schwamm das Wasser, mühelos, unersättlich. Ich war wie im Rausch.
    Einige
der Zauber erlernte ich innerhalb eines Lidschlages, für andere hingegen
brauchte ich Wochen. Während es mir keinerlei Probleme bereitete, mir selbst
eine andere Gestalt zu verleihen, indem ich ein Trugbild aus Luft um meine
körperliche Hülle malte, war ich lange nicht in der Lage, die physische Gestalt
eines Menschen zu formen, wie es der Rattenfänger mit den Kindern der
MONDSCHEINGASSE getan hatte. Illusionen waren schnell erzeugt, die Realität
jedoch tatsächlich zu verändern, erforderte großes Können und noch größere
Macht. Ja, es war eine Herausforderung, selbst für mich, aber alles andere als
unmöglich, und nach hartem Training erzielte ich erste Erfolge. Das Geheimnis
dieser Technik, wie ich nach vielen Fehlschlägen entdeckte, war, dass Macht
nicht nur gestohlen, sondern auch verliehen werden kann. Um die Gestalt eines
Menschen dauerhaft zu verändern, war es unerlässlich, ein Stück von mir in dessen
Seele zu pflanzen. Hatte ich dies erst getan, so konnte ich selbst entscheiden,
ob ich ihm den freien Willen zugestand, seine Gestalt nach Gutdünken

Weitere Kostenlose Bücher