Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Vokabulars. »Du bist betrunken, oder?«
Hansen dachte
an den großen Schluck Single Malt, den er sich als Ersatz für seinen Kaffee
genehmigt hatte. »Nur ein kleines bisschen. Und jetzt los, mach die Tür auf.«
Kiro streckte
die Hand nach der Klinke aus, als plötzlich das Telefon zu schrillen begann. Verwundert
starrte er den Arzt an, in dessen Nacken sich augenblicklich die feinen Härchen
aufgestellt hatten.
»Vielleicht
funktioniert der Strom wieder«, sagte er ohne sonderliche Überzeugung.
Kiro würdigte
das nicht einmal einer Antwort, sondern deutete lediglich wortlos zu den noch
immer ausgefallenen Deckenleuchten.
Hansen nickte
wehmütig. Wer auch immer sie da anrief, er nutzte nicht das herkömmliche Telefonnetz.
»Nun geh schon
ran!«, forderte Kiro.
Gehorsam drehte
Hansen sich um, durchquerte den Flur und öffnete die Tür ins Wohnzimmer, wobei
ihm ein übermächtiger Wind entgegenschlug und ihm die Tür aus der Hand riss,
sodass sie krachend gegen die Wand schlug. Es kostete Hansen alle Kraft, sich
gegen den Sturm zu stemmen und zum schnurlosen Telefon vorzukämpfen, das in
einer Halterung an der Wand hing. Er nahm das Gerät an sich, hob jedoch noch nicht
ab, sondern verließ erst das Wohnzimmer und stemmte sich mit Kiros Hilfe gegen
die wild auf- und zuschlagende Tür, um sie wieder ins Schloss zu drücken. Als
es ihnen endlich gelungen war, tat Hansen eine Weile lang nichts als keuchend mit
dem Rücken am Türblatt zu lehnen und auf den Hörer in seinen Händen
herabzustarren, der noch immer penetrant schrillte.
»Hansen! Wenn
du es nicht tust, nehme ich ab!«
Kurz war der
Arzt ernsthaft versucht, das Angebot anzunehmen, doch dann holte er tief Luft,
drückte die grüne Taste und hielt das Gerät ans Ohr.
»H... h...
hallo?«, hauchte er.
Die sanfte,
weibliche Stimme, die sich daraufhin meldete, durchzuckte ihn wie ein Stromschlag.
»Ich bin es«, sagte sie. Sonst nichts.
Hansens Augen
weiteten sich entsetzt, und beinahe hätte er den Hörer fallen gelassen wie ein
friedlich wirkendes Tier, das plötzlich nach ihm geschnappt hatte. Die Stimme
hatte sich verändert, zweifelsohne, nach all den Jahren, die seither
verstrichen waren, trotzdem konnte es keinen Zweifel daran geben, wem sie gehörte.
Aus leeren
Augen starrte Hansen an die gegenüberliegende Wand, seine Hände begannen heftig
zu zittern.
»Wo warst du?«
flüsterte er, nachdem er eine halbe Ewigkeit geschwiegen hatte. »Wo warst du
all die Zeit über?« Er spürte förmlich, wie ihm innerhalb eines Lidschlags das
Blut in den Kopf schoss. Und plötzlich, von einem Moment auf den anderen, wurde
er laut: » Verdammt, du dummes Miststück, wie konntest du es wagen, einfach
so zu verschwinden?! «
Neben ihm
zuckte Kiro sichtlich zusammen.
»Ich bin
zurück, das ist alles, was wichtig ist«, erwiderte die Stimme gelassen.
»Diese Nummer.
Woher kennst du diese Nummer?«
»Ich habe keine
Nummer gewählt, und ich denke, das weißt du sehr genau. Wie geht es euch? Seid
ihr noch alle am Leben?«
»Verdammt,
Eloin!«
»Was?!« Kiros
Augen weiteten sich. »Meine Mutter? Sprichst du mit meiner Mutter ?!«
»Halt die
Schnauze, Kiro! Du hast jetzt Sendepause.« Hansen stieß den Jungen unsanft
beiseite. »Ja, wir sind am Leben«, giftete er in den Hörer. »Aber dir haben wir
das nicht zu verdanken. Du blödes Weibsstück, wie konntest du uns einfach so im
Stich lassen? Weißt du eigentlich, was geschah, nachdem du weg warst? Miranda
ist verschwunden. Ich bin allein mit eurem elendigen Balg zurückgeblieben. Hast
du eine Ahnung, was das für ein Gefühl war?« Tränen erstickten Hansens Stimme,
er drängte sie unwillig zurück. »Wir dachten, du seist tot. Ich war auf deiner Trauerfeier,
Eloin. Auf deiner Trauerfeier! «
»Tut mir leid,
dich enttäuschen zu müssen.« Noch immer war Eloins Stimme nicht anzuhören, ob
sie Hansens Vorwürfe trafen. »Aber wenn du willst, dass diese Tragödie besser
endet als die erste, solltest du lieber versuchen, dich mit meinem Überleben
abzufinden und meine Hilfe anzunehmen. Es kostet mich genug Überwindung, sie
dir anzubieten.« Nun war zum ersten Mal so etwas wie Gefühl in der Stimme zu
hören. »Nach Andreas´ Tod war ich nicht mehr ich selbst. Ich war seelisch und
körperlich verwundet und hatte keine andere Wahl, als mich vorerst zurückzuziehen.
Erst nach vielen Jahren der Entbehrung und der Meditation gelang es mir, mich
einigermaßen von dem Erlebten zu erholen. Und nachdem ich wieder zu
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