Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Geschehnisse
nicht mehr betreffen als die Handlung eines Filmes den Zuschauer. »War sie es?
Kommt sie her?«
Hansen nickte
und beantwortete damit beide Fragen des Jungen auf einmal. Kiro verstummte und
starrte auf den Telefonhörer herab. Seine Kiefer mahlten deutlich sichtbar.
»Wir müssen
hier warten, bis sie da ist. Sonst wird sie uns nicht finden. Ich weiß, dass
das nicht einfach ist, aber so viel Geduld müssen wir noch aufbringen. Ohne
Eloin wäre unser Vorhaben ohnehin sinnlos gewesen.«
»Das sagst du
mir jetzt? Dann wärst du also mit mir in diesen Weltuntergang hinausspaziert,
nur um dein Mütchen zu kühlen?«
»Mach mir bloß
keine Vorwürfe, schließlich war das dein eigener Vorschlag.«
»Aber es ist
deine Aufgabe als Erwachsener, mit der Stimme der Vernunft zu sprechen.« Kiros
Widerspruch klang nur reflexhaft. In Wahrheit kreisten seine Gedanken wohl
immer noch um seine Mutter.
»Bist du
nervös, sie nach all der Zeit endlich zu treffen?«, fragte Hansen leise.
Vertrauliche Gespräche mit Jugendlichen gehörten für gewöhnlich nicht in sein
Repertoire, aber andererseits hatte er in den vergangenen Stunden so einiges getan
und erlebt, das er bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten hätte.
Kiro starrte
Hansen aus seltsam blicklosen Augen an. Sie strahlten eine intensive Kälte aus,
die den Arzt beunruhigte. Diesen Blick kannte er von traumatisierten Patienten,
die ihre Ernährung wie ihre Ausscheidung über ein System winziger Schläuche regelten.
Was noch schlimmer war – es war der Blick, den er von Laura kannte, als sie
sich nach Seinem Angriff gänzlich in sich selbst zurückgezogen hatte. Das
war gar nicht gut. Das Letzte, was Hansen gebrauchen konnte, war, dass einer
seiner wenigen Verbündeten einen Nervenzusammenbruch erlitt und unbrauchbar für
ihr weiteres Vorhaben wurde.
»Kiro«, setzte
er erneut an, als er keine Antwort erhielt, »deine Mutter ist eine gute Frau.
Ich kann sie nicht ausstehen, und sie mich wohl auch nicht, aber niemand weiß
besser als du, dass sie da nicht die Einzige ist.« Er setzte ein schiefes
Grinsen auf.
Noch immer
keine Reaktion. Anstatt zu antworten, schälte Kiro sich nun mit mechanischen
Bewegungen aus seinem Regenmantel und seinen Gummistiefeln.
Da platzte
Hansen der Kragen. Mit einem einzigen Schritt war er heran und hatte Kiro an
den Schultern gepackt, um ihn zu schütteln. »Verdammt, Junge! Mach endlich den
Mund auf!«
Kiro schnaubte
unwillig und schlug Hansens Hände grob beiseite. »Fass mich nicht an, Lügner.«
»Ah, jetzt
kommen wir der Sache allmählich näher.«
Hansen rieb
sich seinen schmerzenden Oberarm, gegen den Kiro mit deutlich mehr als sanfter
Gewalt geboxt hatte. »Du bist sauer, nicht wahr? Verdammt, dazu hast du auch
jedes Recht. Also los, lass es endlich raus. Oder willst du weiter alles in
dich hineinfressen?«
»Ich habe
keinen Bock, meine Gefühle vor dir auszuschütten«, knurrte Kiro. Endlich war
wieder etwas Leben in seinen Augen – sie glühten vor Wut. »Ich habe nicht einmal
Bock, mich mit dir im selben Raum aufzuhalten. Du hast mir mehr angetan, als
meine Eltern es jemals konnten, weißt du das eigentlich? Eloin war weit weg,
für mich hat sie praktisch nicht existiert, aber du, du verdammter
Schaumschläger, du warst immer um mich! Jedes Mal, wenn du den Mund aufgemacht
hast, hast du mich von Neuem belogen! Tagtäglich! Hast du eigentlich eine
Ahnung, was das für ein Gefühl ist?«
»Nein«, gestand
Hansen. »Wie sollte ich das denn wissen? Junge, ich habe wirklich Scheiße gebaut,
aber ...«
»Scheiße
gebaut?«, wiederholte Kiro ungläubig. »Ist das dein Ernst? Mein ganzes Leben
geht in die Brüche, und du sagst, du hast Scheiße gebaut? Wie viele
Drinks hast du gekippt?«
Nicht genug,
um dieses Gespräch zu führen , wollte Hansen sagen, schluckte es jedoch im
letzten Moment hinunter. »Ich habe mich wie ein Arschloch verhalten«, sagte er
stattdessen. »Ich würde zu gerne die Hauptschuld auf deine Mutter abwälzen,
aber wahrscheinlich hast du recht und das wäre nicht die Wahrheit. Ich habe
diesen Fehler zu verantworten, ich allein. Ich hätte mich dieser Sache schon
lange stellen sollen. Dir beistehen müssen. Nicht als Freund der Familie,
sondern als ... Patenonkel. Als zweiter Vater. Das war meine Aufgabe, und ich
habe sie ignoriert. Ich bin erbärmlich.«
»Schön, dass du
einen Durchbruch in deiner Therapie erzielen konntest«, zischte Kiro.
»Kiro, es tut
mir leid. Es tut mir wahrhaftig
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