Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
diese war jedoch
nirgends zu sehen, war entweder verrottet oder entfernt worden. Dahinter
herrschte eine bedrückende Dunkelheit, die so vollkommen war, dass es mir
schien, als würde sie das Licht förmlich in sich aufsaugen.
»Wir
sind am Ziel«, erklärte Andreas überflüssigerweise. Er machte eine einladende
Geste, mit der er mir bedeutete, vorauszugehen.
Nur
widerwillig folgte ich seiner Aufforderung. Mich auf Zehenspitzen fortbewegend,
als würde ich mich auf dünnes, knackendes Eis begeben, durchquerte ich den
Durchgang, geradewegs hinein in die Finsternis.
Ein
atemberaubender Gestank nach Exkrementen, Schweiß und Angst schlug mir entgegen,
und ich presste hastig eine Hand auf Mund und Nase, um den aufwallenden
Brechreiz zu unterdrücken. Es war mit Abstand der widerlichste Geruch, den ich
je in meinem Leben wahrgenommen hatte, und er schrie geradezu nach Tod und Verderben.
Hier
lebte also doch etwas. Etwas, mit dem ich um nichts in der Welt tauschen
wollte.
Was
ich zuerst nur gerochen hatte, machte sich bald auch mit Geräuschen bemerkbar.
Ein gedämpftes Ächzen und Stöhnen hallte von den steinernen Wänden wider, eine
Symphonie des Grauens und des Schmerzes.
»Was
ist das hier?«, wiederholte ich. Meine Stimme war kaum mehr als ein heiseres
Flüstern.
»Es
gibt nur noch eine Sache, die dich von mir unterscheidet, Laura«, sagte Andreas
anstelle einer direkten Antwort. Er befand sich unmittelbar hinter mir, so
dicht, dass ich seine Nähe körperlich spüren konnte. Im Gegensatz zu mir schien
er nicht verunsichert durch die herrschende Dunkelheit, ganz im Gegenteil
vernahm ich einen leisen Unterton von Verzückung in seiner Stimme. »Nur noch
eine einzige Sache, die ich dir voraus habe. Und diese wirst du nun nachholen,
hier und jetzt.«
Im
selben Moment spürte ich, wie er eine befehlende Geste machte, und auf einen Schlag
erwachten mehrere Fackeln an den uns umgebenden Wänden fauchend zum Leben. Da
fiel mein Blick auf das grauenhafte Bild, das die gnädige Dunkelheit bislang
verborgen hatte. Hätte ich mir nicht rasch die Hand vor den Mund gepresst, ich
hätte gellend aufgeschrien.
Wir
befanden uns in einem Kerker. Dutzende schmutzstarrende, ausgezehrte Gesichter stierten
mir durch Wände von Gitterstäben entgegen, trübe Augen versuchten, mich zu
erfassen, glitten aber immer wieder ab, als hätten sie einfach nicht mehr die
Kraft und den Willen, ihre Blicke auf einen Punkt zu fixieren. Was ich hier
sah, waren an die dreißig Männer und Frauen jeden Alters, in Fetzen gehüllt,
verwahrlost, am Rande ihrer Existenz. Mehr als einer der unglückseligen Gestalten
lag apathisch auf dem steinernen Kerkerboden und starrte mit ausdruckslosem
Gesicht zur Decke, und wenn sich ihre Brust nicht in mehr oder weniger
regelmäßigen Abständen gehoben hätte, hätte ich angenommen, sie wäre bereits
nicht mehr am Leben. Ich konnte nur ahnen, wie lange sich diese bemitleidenswerten
Gestalten bereits hier befanden, doch der unvorstellbare Gestank, der von der
für diese Anzahl an Menschen viel zu kleinen Zelle ausging, gab mir eine
deutliche Antwort auf diese Frage: zu lange. Viele der Gefangenen lagen in
ihrem eigenen Dreck, ohne sich darum zu scheren. In der Mitte des Käfigs stand
ein kleines, verschmutztes Wasserbecken, in dem sich bereits ein grünliches Etwas
angesammelt hatte, über dessen Ursprung ich gar nicht nachdenken wollte, und
überall in der Zelle verstreut lagen verschieden große Stücke von etwas, das
wohl einmal Brot gewesen war, ehe es einer ganzen Pilzkolonie als Heimat zu
dienen begonnen hatte.
Eine
einzelne Frau mit verfilztem, schwarzen Haar kam mit stolpernden Schritten an
den Rand ihres Käfigs getaumelt und warf sich mit aller Kraft, die ihr
ausgezehrter Körper noch aufzubieten imstande war, gegen das Gitter. Mit beiden
Händen, an denen sich bereits blutige Striemen abzeichneten, umschloss sie die
Stäbe und rüttelte daran, während sie scharfe Worte in einer Sprache schrie,
die ich nicht verstand. Ihre dunklen Augen waren fest auf Andreas´ Gesicht geheftet
und glühten vor unverhohlenem Hass, und ich zweifelte keine Sekunde daran, dass
sie sich einfach auf den Magier gestürzt hätte, hätte er ihr nur die
Gelegenheit dazu geboten. Ihre Unterlippe war aufgeplatzt und unter ihrem
rechten Auge prangte ein prächtiger Bluterguss, was mir bewies, dass dies nicht
ihr erstes Aufbegehren war – und dass Andreas oder seine Diener keine Hemmungen
hatten, auch Frauen zu
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