Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
gewesen war. Ihr Geist
tauchte in seine schwarze, verdorbene Seele ein, verbrannt von all den fremden
Leben, die er genommen hatte, und sie begriff, dass er schon lange nicht mehr ihr Andreas war.
Aber
sie liebte ihn immer noch. Noch immer liebte sie ihn so sehr.
Wehmütig
schloss sie die Augen. Sie spürte, wie der Schmerz in ihrem Rücken von Neuem
aufwallte, wie Blut den Stoff ihres Kleides schwer an ihre Haut presste, wie
das Leben beständig aus ihr herausfloss. Sie stemmte sich nicht länger dagegen,
tat, was ihre Pflicht war: Sie ließ ihren Geist fahren.
Seine Illusion
zerbrach im selben Moment, als er seine magischen Fühler nach dem letzten Opfer,
jenes für den Äther, ausstreckte. Andreas spürte mit übergroßer Deutlichkeit,
wie die fleischähnliche Larve, die er sich übergezogen hatte, sich von seiner
wahren Gestalt abschälte wie verbrannte Haut. Er benötigte keinen Spiegel, um
zu wissen, wie er nun aussah – die tierische Fratze mit den geschlitzten Pupillen,
den geblähten Nüstern und den gefletschten Raubtierzähnen, das wirre, schüttere
Haar, die bis zu den Knochen abgemagerten, grauen Glieder. Dies war es, was
Zeit und schwarze Magie aus ihm gemacht hatten: ein widerwärtiges Ungeheuer,
das sich in falschen, menschlichen Leibern versteckte, wie Schaben sich in dunklen
Mauerritzen verkriechen.
Die
Macht, die er und Laura heraufbeschworen hatten, hatte nicht nur sein wahres
Äußeres bloßgelegt, auch seine Seele war aus der finstersten Ecke seines
Bewusstseins hervorgezerrt worden und blinzelte nun geblendet ins Licht. Die
Stimmen des Wahnsinns, die der Rattenfänger in seinen Geist gepflanzt hatte,
waren verstummt, und zum ersten Mal seit endlos vielen Jahren sah Andreas sich
selbst, wie er wirklich war – was er getan, was er verloren hatte. Sein ursprünglicher
Plan, seinen Geist am Ende des Rituals in Lauras jungen, unbeschadeten Körper
zu transferieren, mit ihren Händen das Buch zu greifen, das er seit Mirandas
Fluch nicht mehr berühren konnte, zerplatzte vor seinen Augen wie eine
Seifenblase. Er hatte wieder ganz werden, wieder zu alter Größe emporwachsen
wollen, das Mädchen dabei ausschlachtend wie ein fleischliches Ersatzteillager,
doch mit einem Mal begriff er, dass das Irrsinn war.
Er
konnte sich keinen neuen Körper züchten, kein neues Leben. Er würde immer in
sich selbst gefangen bleiben, und die Last seiner Taten würde ihn stetig
schwerer zu Boden pressen, bis er eines Tages daran erstickte.
Ich bin ein Monster , flüsterte es in ihm. Ein
Monster, um ein Vielfaches schrecklicher als jene, die ich bekämpfen wollte,
als ich mich auf die dunkle Macht einließ.
Als
diese schmerzhafte Erkenntnis ihn ereilte, war es bereits zu spät, um
umzukehren. Die verbotenen Worte, die seine Lippen ohne Unterlass formten,
verlangten nach der letzten Lebensflamme, und überraschend bereitwillig züngelte
sie ihm entgegen. Doch es war nicht die des vorbestimmten Opfers.
Mit
einem Mal wurde es still um ihn herum. Das Schlagen der Glocke verstummte
ebenso wie das düstere Mantra, das er und Laura skandierten. Die Schmerzen, die
jedes der alten, verbotenen Worte begleitet hatten, waren verschwunden wie
ausgelöscht, selbst sein Körper schien fort, aufgelöst in einer kühlen, alles verdeckenden
Dunkelheit.
Da
erglühte unmittelbar vor seinem geistigen Auge ein sanftes, wärmendes Licht.
Instinktiv bewegte er sich darauf zu, streckte eine Hand danach aus. Wie
tröstlich es in der Dunkelheit der letzten Nacht glomm.
Mein Geliebter , flüsterte eine Stimme. Was
ist aus uns geworden?
Eloin? Andreas schreckte vor dem so
schmerzhaft vertrauten Licht zurück, als hätte er sich daran verbrannt. Eloin,
bist du es?
Was hast du nur getan? , fuhr die Stimme bitter
fort. Du hast dich selbst verloren. Dich vergessen.
Ich habe alles, was ich tat, für uns getan, für unsere Zukunft! , protestierte Andreas verzweifelt.
Du hast es für dich getan , widersprach
die Stimme sanft, und das war die schreckliche Wahrheit.
Was wird nun geschehen? , fragte er.
Das
Licht glomm stärker, und heraus trat eine in Weiß gehüllte Traumgestalt, deren
Arme sich wie Flammen um ihn ausbreiteten. Bereitwillig ergab Andreas sich in
diese Umarmung, saugte jedes bisschen Wärme in sich auf, das jenes herrliche
Wesen ausstrahlte. Wie sehr er sich nach Berührung sehnte, nach den langen Jahren
in Einsamkeit. Seine grauen, dürren Glieder erwärmten sich, sein lippenloser
Mund öffnete sich zu einem wohligen
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