Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
unwiderstehliches Bedürfnis nach Schlaf
machte sich in mir breit. Ich gähnte ausgiebig und vergrub mich tiefer in der gestärkten
Krankenhausdecke. Vor meinem geistigen Auge zog das Erlebte der vergangenen Tage
vorüber, und ich fragte mich vergeblich, wie mein Leben eine so plötzliche
Wende hatte erfahren können. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich nach
dem, was ich erlebt hatte, niemals wieder dieselbe sein würde, doch darüber
wollte ich im Augenblick nicht nachdenken. Alles, was ich wollte, war, wieder
in den schützenden Armen Morpheus´ zu versinken und Zuflucht im Land der Träume
zu suchen.
Ich
musste tatsächlich kurz eingenickt sein, denn als ich das nächste Mal in Richtung
Tür blickte, war sie nicht länger geschlossen, und ich war auch nicht mehr
alleine. Ein schlanker, hochgewachsener Mann stand am anderen Ende des Raumes
und beobachtete mich aus kalt berechnenden Augen. Sein Körper war in den unverkennbaren
weißen Mantel gehüllt, er hatte braunes, penibel kurz geschnittenes Haar, das
seine verhärteten, schon fast asketisch wirkenden Gesichtszüge betonte, und in
seinen Fingern entdeckte ich ein Klemmbrett, das mir bewies, dass er durchaus
ein Recht hatte, hier zu sein.
Trotzdem
erschien er mir wie ein dreister Eindringling, der sich in einen Bereich dieser
Welt geschlichen hatte, in dem er einfach nichts verloren hatte.
»Störe
ich?«, fragte der Arzt mit einem Lächeln, das ebenso falsch wirkte wie die
Rolex an seinem Handgelenk.
Anstelle
einer Antwort stellte ich eine Gegenfrage. »Wer sind Sie?«
Bevor
der Arzt darauf reagierte, trat er unaufgefordert vollends ein und schloss die
Tür hinter sich. Als er sich wieder zu mir umwandte, hatte er erneut dieses
Lächeln angeknipst, zu dem nur erfahrene Ärzte und Versicherungsvertreter
imstande sind. »Es ist schön, zu sehen, dass Sie vollständig wiederhergestellt
sind, Frau Seibach. Mein Name ist Hansen. Doktor Hansen, um genau zu sein. Ich
bin für diese Etage zuständig und der leitende Stationsarzt.«
»Dann
können Sie mir vielleicht ein paar Fragen beantworten«, erwiderte ich.
Hansens
Lippen kräuselten sich, und seine Augen blitzten spöttisch. Dummes Kind ,
schienen sie zu sagen. »Gemach, gemach. Alles zu seiner Zeit. Sie werden Ihre
Antworten schon noch früh genug bekommen, aber vorerst haben andere Dinge
Vorrang.«
In
seiner Rechten erschien ein Füllhalter, mit dem er rasch ein paar Worte auf die
Liste in seiner Hand kritzelte. Neugierig und auch ein wenig nervös versuchte
ich, über den Rand des Klemmbrettes zu spähen, doch gerade, als ich glaubte,
die Worte entziffern zu können, ließ Hansen seine Notizen wieder sinken.
»Wie
fühlen Sie sich?«, wollte er wissen.
»Ich
glaube, das wissen Sie besser als ich«, gab ich mit beißendem Spott zurück und
blickte vielsagend auf das eng mit einer unleserlichen Handschrift beschriebene
Patientenblatt auf Hansens Klemmbrett.
Der
Arzt legte die Stirn in Falten. Wie von selbst kratzte die Spitze seines Kugelschreibers
über das Papier, ohne dass er es für nötig befand, auch nur einen Blick darauf
zu werfen. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Frau Seibach.
Vielleicht möchten Sie mich aufklären?«
»Sie
entschuldigen, aber das möchte ich nicht«, antwortete ich nicht unfreundlich,
Hansens Ton imitierend. »Vergessen Sie einfach, was ich gesagt habe. Und
streichen Sie es aus Ihrem Bericht.«
Die
dunklen Augen des Arztes wanderten nun doch zurück auf sein Klemmbrett, während
sein Füllhalter wie besessen über die Liste flog. Ich bezweifelte jedoch stark,
dass er auch nur im Entferntesten daran dachte, etwas daraus zu streichen.Nachdenklich
und wohl mehr zu sich selbst als zu mir nickte er. »Ganz wie Sie meinen.«
»Könnten
Sie Ihre Notizen beiseitelegen oder mir wenigstens zeigen, was Sie schreiben? Es
ist nicht gerade angenehm, sich wie ein Forschungsobjekt zu fühlen.«
Hansens
Hand erstarrte, und er betrachtete mich über den Rand seines Klemmbrettes
hinweg. »Natürlich, wie unhöflich von mir«, sagte er nach langem Zögern und
ließ seinen Kugelschreiber in der Brusttasche seines Kittels verschwinden.
»Können wir jetzt reden?«
»Selbstverständlich.
Fragen Sie, was Sie wissen wollen.«
»Sehr
schön.« Hansen ließ sich auf das Bett mir gegenüber sinken und legte sein
Klemmbrett in den Schoß – natürlich mit der beschrifteten Seite nach unten. »Sie
wissen, weshalb Sie hier sind? Wo Sie sind?«
Ohne
zu zögern, nickte
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