Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Umarmung, und ich tauchte
in einen See aus vollkommener Finsternis und Stille ein.
Kapitel VI
Im ersten Moment
spürte ich nichts. In meinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander.
Unzusammenhängende Erinnerungsfetzen jagten sich hinter meiner Stirn,
Erinnerungen an Stimmen und Gesichter, die undeutlich über meinen Augen
schwebten, die Blicke voller Sorge und Angst, Erinnerungen an schrille
Geräusche und Farben.
Und
an Feuer.
Dann
kam der Schmerz. Pulsierend breitete er sich in meinem Leib aus, rüttelte sacht
an meinen Sinnen, riss sie aus ihrer Betäubung.
Meine
Lider flatterten, und ich versuchte mühsam, mich aufzurichten. Sofort schloss
ich die Augen wieder, als blendendes Licht mit tausend Nadeln in meine Pupillen
stach. Ein leises Stöhnen glitt über meine Lippen, und ich hob schwach die
Hand, um meine Augen abzuschirmen.
Wieder
öffnete ich die Lider, diesmal sehr viel vorsichtiger. Trotzdem konnte ich im
ersten Moment nichts wahrnehmen außer verschwommenen Schemen.
»Laura?«,
drang eine sanfte Stimme in meine Gedanken. »Laura, bist du wach?«
Meine
Augen wanderten zu dem hellen, verwaschenen Fleck, der wie eine überbelichtete
Fotografie über mir schwebte und sich allmählich zu einem ebenmäßig
geschnittenen Gesicht verdichtete. Dunkle Augen leuchteten mir entgegen, und
unvermittelt erblühte ein Lächeln auf meinen Lippen.
Kiro
setzte sich auf die Kante meines Bettes und griff nach meiner Hand. Ein Gefühl
der Wärme durchströmte mich, vertrieb den Schrecken der Erinnerungen.
Für
eine halbe Ewigkeit, wie es schien, taten wir nichts als uns auf diese stumme
und doch beredte Weise anzublicken, ein Schweigen, in dem das nicht Gesagte für
sich sprach und die stummen Gedanken ganze Geschichten erzählten, geheimnisvoll
und wunderschön. Für diesen einen zeitlosen Moment wünschte ich mir nichts mehr,
als dass es ewig wehren würde.
»Wie
geht es dir?«
Mein
Lächeln gefror, und das Gefühl der Zweisamkeit zerbröckelte unter meinen
Fingern wie eine nasse Sandskulptur. Da war sie wieder: die Realität.
Anstatt
zu antworten, entzog ich meine Hand Kiros Griff und sah mich zum ersten Mal in
meiner Umgebung um. Ein steriles Zimmer mit gefliesten Wänden und Böden aus
hellem Linoleum. Durch ein Fenster gegenüber konnte ich die Triebe einiger
Eichen erkennen, doch abgesehen davon schien es hier kein Leben zu geben. Der
scharfe Gestank nach Desinfektionsmittel biss mir in die Nase, verursachte ein
flaues Gefühl in meinem Magen.
»Ein
Krankenhaus«, stellte ich fest.
Kiro
nickte. »Die St. Heinrich Klinik, nicht weit von deiner Schule entfernt. Kurz,
nachdem du das Bewusstsein verloren hast, sind die Rettungskräfte eingetroffen
und haben uns hierher gebracht.«
»Wie
lange?«, fragte ich leise.
Kiro
verstand sofort. »Wir sind seit drei Tagen hier. Fast vier.«
Fassungslos
starrte ich ihn an. »Ich habe drei Tage lang geschlafen?«
»Du
hattest immer wieder gewisse … wache Momente. Aber ich bin mir nicht sicher, ob
du in dieser Zeit wirklich mitbekommen hast, was um dich herum geschehen ist.«
»Und
die ganze Zeit warst du bei mir?«
»Natürlich.
Schließlich wurde ich hier ebenso eingeliefert wie du.«
Ich
starrte den jungen Mann durchdringend an, versuchte eine versteckte Botschaft
hinter den Worten auszumachen, doch vergeblich. Sein Gesicht war für mich ein
Buch mit sieben Siegeln.
»Was
war los, Laura?« Die Frage musste ihm seit all den Tagen auf der Zunge gebrannt
haben. »Nachdem ich dich verloren hatte, wurde ich vom Strom der Masse nach
draußen getragen. Ich dachte, du wärst wie alle übrigen Ballgäste längst in
Sicherheit, doch als ich dich suchte, konnte ich dich nirgends finden.«
Seine
Augen drangen fragend in mich ein, und ich senkte die Lider. Widerstrebend
erzählte ich, wie der Schwarzhaarige mich in der allgemeinen Aufregung gepackt
und mit sich gezerrt hatte, wie ich ihm hatte entkommen können und schließlich
auf der Treppe vor Schwäche zusammengebrochen war. Es tat weh, all diese
Erlebnisse zu rekapitulieren, gleichzeitig spürte ich, dass es notwendig war.
Düster
nickte Kiro. »Das dachte ich mir bereits. Wer sonst hätte dieses Feuer legen
sollen?«
»Er
ist wahnsinnig«, sagte ich im Tonfall einer Feststellung. »Vollkommen verrückt.
Zum Glück werden wir ihm nun niemals wieder begegnen. Noch nie war ich
erleichtert über den Tod eines Menschen, aber in diesem Fall …«
Kiro
schwieg bedrückt, und sein Blick wich dem meinen
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