Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
ich.
»Dann
nehme ich an, dass Sie auch wissen, dass Sie uns eine Menge Sorgen gemacht haben,
Frau Seibach?«
»Das
tut mir leid«, erwiderte ich süffisant. »Es lag nicht in meiner Absicht, Ihnen
oder Ihren Kollegen Umstände zu bereiten.«
Das
geübte Lächeln wich keine Sekunde von Hansens blassen Lippen, aber es wurde
deutlich gezwungener, schon fast gequält. Er hatte die Fingerspitzen beider
Hände aneinandergelegt und zu einem Dach gefaltet, auf dessen Spitze er nun
konzentriert starrte. »Nun seien Sie bitte nicht albern«, bat er seine Hände.
»Ich verstehe, dass Sie etwas gereizt sind, nach allem, was Ihnen widerfahren
ist, aber das ist doch kein Grund, mir mit einer solchen Feindseligkeit gegenüberzutreten,
nicht wahr?« Er hatte gewiss recht, und dessen war ich mir auch sehr wohl
bewusst. Aber sein Auftreten hatte etwas derart Provokantes, dass ich nicht an
mich halten konnte.
»Ich
bin nicht feindselig«, behauptete ich. »Ich vertrage es nur nicht, wie ein Ding
behandelt zu werden.«
Hansens
rechte Augenbraue wanderte ein Stück nach oben. »Lassen Sie uns eines
klarstellen. Ich bin Ihr Arzt, Frau Seibach, und daher behandle ich Sie so, wie
ich es für angemessen halte.«
»Sicher
tun Sie das.« Ich ging zu einem Thema über, das für mich von größerer Bedeutung
war: »Wie lange wird es noch dauern, bis ich das Krankenhaus wieder verlassen
kann?«
Sichtbar
erleichtert darüber, dass wir uns nun auf einem Feld bewegten, in dem er die
Oberhand hatte, nahm Hansen sein Klemmbrett wieder an sich und warf einen
raschen Blick darauf. »Als Sie eingeliefert wurden, litten Sie an einer
schweren Rauchgasintoxikation. Am ersten Tag war Ihr Zustand noch kritisch, Sie
mussten künstlich beamtet und vierundzwanzig Stunden überwacht werden. Erst am
darauffolgenden Tag konnten wir Sie dann von der Intensivstation hierher
verlegen. Sie haben zwar gut auf die Kortison-Therapie angesprochen und
befinden sich nun sichtlich wieder auf dem Weg der Besserung, aber das muss
nichts bedeuten. Wir werden Sie in jedem Fall noch hierbehalten, um möglichen
Spätfolgen vorzubeugen. Ob das nun eine Woche oder einen Monat dauern wird, ist
noch nicht abzusehen. Sie müssen sich in Geduld üben.«
Ich
nickte stumm und spürte dabei ein klammes Gefühl in der Brust. Hansens Worte
machten mir erneut bewusst, wie wenig gefehlt hätte, um all meinen Sorgen endgültig
ein Ende zu bereiten.
»Was
Ihre Angehörigen betrifft«, fuhr Hansen fort, »haben wir Kontakt mit Ihrem
Vater aufgenommen. Er hat unsere Nachricht … zur Kenntnis genommen. Als wir ihn
fragten, wann mit seinem Besuch zu rechnen wäre, sagte er, er sei sehr
beschäftigt.«
»Zur
Kenntnis genommen«, wiederholte ich verächtlich. »Ja, das sieht ihm ähnlich.
Und Mutter?«
Hansen
deutete ein Kopfschütteln an. »Wir konnten Sie noch nicht erreichen. Wahrscheinlich
hält sie sich zurzeit nicht in der Stadt auf.«
Meine
Mundwinkel zuckten.
»Sie
neigt tatsächlich dazu, in andere Sphären abzudriften«, sagte ich und dachte
dabei an jene gerichtlich verordneten Wochenendbesuche, wenn ich mir mit meinem
Zweitschlüssel Einlass in eine nach Fusel und Erbrochenem miefende Wohnung verschaffte,
um meine Mutter in komatösem Tiefschlaf auf der Couch vorzufinden, umgeben von
leeren Flaschen mit in unverständlichem Italienisch beschrifteten Etiketten.
Ein Glück, dass ich mittlerweile alt genug war, um mir diese Tortur ersparen zu
können.
Hansen
räusperte sich. Er ließ sich nicht anmerken, ob er von meiner Familie
angewidert war – sein Gesicht blieb eine undurchschaubare Maske der Professionalität.
»Gibt
es noch andere Anverwandte, die wir für Sie kontaktieren sollen?«, fragte er.
Ich
schüttelte den Kopf. »Das ist schon in Ordnung so, ich komme allein zurecht.«
Ich zögerte ein wenig und wagte die Frage dann doch, mit der ich meine vorangegangene
Bemerkung Lügen strafte. »Was ist mit Kiro? Wie lange wird er noch hierbleiben?«
Hansen
lachte hart und auf eine Weise, die ich diesem kühlen Mediziner niemals
zugetraut hätte. »Dem Jungen geht es geradezu unverschämt gut. Hätte er nicht
so beharrlich darauf bestanden, bei Ihnen zu bleiben, wäre er schon längst
wieder zu Hause.«
Dieser Lügner , dachte ich und musste an mich
halten, um nicht wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen. Also war Kiro doch nur
meinetwegen geblieben!
Hansen,
dem meine Gefühlsregungen verborgen geblieben waren, fuhr hitzig fort: »Es war
ein Fehler, ihm diesen Wunsch zu
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