Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
aus.
»Das
ist nicht wahr«, flüsterte ich schockiert, als ich seine Mimik deutete. »Er
kann nicht mehr leben. Das ist unmöglich!«
»Ich
weiß es nicht mit Sicherheit«, murmelte Kiro halblaut. »Ein Fenster im ersten
Stock war zerbrochen. Vielleicht war es lediglich die Hitze, die das Glas hat
springen lassen, aber da im gesamten Gebäude kein Leichnam aufgefunden wurde …«
Er verstummte, als er meinen Gesichtsausdruck gewahrte. Unvermittelt griff er erneut
nach meiner Hand. Erst jetzt registrierte ich, dass sie bandagiert war.
»Er
wird dir nichts mehr antun, da bin ich sicher. Es wäre vollkommen widersinnig,
einen weiteren Angriff zu riskieren, nun, da du vorgewarnt bist.«
Langsam
schüttelte ich den Kopf. »Das ist alles so … so schrecklich viel. Ich begreife
einfach nicht, was dieser Wahnsinnige von mir will! Was habe ich ihm denn
getan, dass er ein gesamtes Gebäude voller Menschen in Brand setzt, nur, um an
mich heranzukommen?«
»Solche
Menschen brauchen keine Gründe, Laura. Sie handeln nicht rational wie du und
ich.«
Als
er sprach, sah er mir nicht in die Augen, und etwas an seiner Mimik ließ mich
aufmerken. Forschend studierte ich seine Gesichtszüge.
»Du
weißt etwas«, sagte ich schließlich und löste meine Hand aus seinem Griff. Schon
seit die Rede auf den geheimnisvollen Fremden gekommen war, hatte ich den
intensiven Eindruck gehabt, dass etwas mit Kiro nicht stimmte, dass er
merkwürdig distanziert und vage blieb – nun war ich mir dessen vollkommen
sicher. »Du weißt, wer dieser Mann ist und was er von mir will. Warum solltest
du sonst zufällig immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein? Du hast
selbst gesagt, dass du kein Schüler an meiner Schule bist, warum also warst du
auf diesem Ball? Kiro, wir beide kennen uns noch nicht lange, aber in dieser
kurzen Zeit haben wir Dinge zusammen erlebt, die uns aneinander binden, das
weißt du ebenso gut wie ich. Und deshalb … ja, deshalb habe ich deine
Aufrichtigkeit verdient!« Ich atmete tief ein, spürte, wie sich mein Herzschlag
beschleunigte, als ich dem jungen Mann diese fordernden Worte entgegenwarf.
»Ich will jetzt die Wahrheit hören. Und keine Ausflüchte! Wenn du lügst, spüre
ich das sofort!«
Umständlich
erhob Kiro sich und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Ich bemerkte nun,
dass er ebenso wie ich schlichte Krankenhauskleidung trug, unter der sich sein
schlanker, geschmeidiger Körper in aller Deutlichkeit abzeichnete. Ein
unpassendes Gefühl der Scham wallte in mir hoch, und ich zwang mich, Kiros
Gesicht zu fixieren.
Schließlich
blieb er stehen, senkte den Kopf und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Natürlich
hast du recht. Ich bin dir die Wahrheit schuldig, und ich wäre schon viel
früher damit herausgerückt, aber ich hatte Angst, dass du sie … nun ja,
missverstehen könntest. Ich weiß nicht einmal, ob ich dir all deine Fragen zufriedenstellend
beantworten kann. Die ganze Sache ist weit komplizierter, als es den Anschein
hat.«
»Für
mich scheint es schon kompliziert genug«, bemerkte ich trocken.
Mit
einem neuerlichen Seufzer ließ Kiro sich auf sein eigenes Bett sinken, das sich
meinem gegenüber befand, und fuhr sich erschöpft durch das helle Haar. »Du hast
eine ganze Menge mitgemacht, daher wäre es nicht gerecht, dich weiter im
Dunkeln zu lassen. Um ehrlich zu sein: Ich kenne den Mann, der dich angegriffen
hat.«
»Du
kennst ihn? Was soll das heißen, du kennst ihn?«
»Sein
Name ist Michael – obwohl er diesen Namen nicht ausstehen kann und sich daher
grundsätzlich mit Mike vorstellt.« Kiro verzog seine Lippen zu einer Grimasse,
die wohl ein Lächeln hätte werden sollen. »Er ist gewissermaßen mein … Bruder.«
Gegen
meinen Willen klappte meine Kinnlade herunter. »Dieser Mann ist dein Bruder? «
Kiro
ließ sich rücklings in sein Bett fallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf
und schloss die Augen. »Nun ja, nicht richtig. Nicht im biologischen Sinne. Er
ist der Sohn meiner Pflegeeltern. Ich bin ein Waisenkind, wenn du es genau
wissen willst.«
Diese
plötzliche Intimität war mir unangenehm. »Hör mal, du muss nicht …«, setzte ich
an, doch Kiro unterbrach mich sofort.
»Es
ist in Ordnung. Du hast ein Recht darauf, zu erfahren, was ich weiß. Nachdem
meine Pflegeeltern sich hatten scheiden lassen, habe ich lange Zeit zusammen
mit Mike gelebt. Damals war er noch ein anderer Mensch, freundlich, humorvoll,
fürsorglich. Du hättest ihn nicht wiedererkannt.« Ein
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